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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs
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verkraften würde, weil es mich vielleicht zerriss und kaum mehr von mir übrig ließ als ein zitterndes Häufchen unbeschreiblichen Elends. Etwas unsagbar Grauenvolles wartete hinter dieser Tür, dessen bloßer Anblick töten konnte – vielleicht nicht nur psychisch.
    Das Zittern meiner Knie breitete sich explosionsartig in meinem gesamten Körper aus. Meine Hand schloss sich so fest um Judiths Finger, dass es ihr wahrscheinlich schon wehtat und sie mich mit einem irritierten Blick ansah.
    Mein Atem ging hechelnd, und mein Herz brannte und hämmerte rasend schnell in meiner Brust wie Trommelfeuer.
    »Schlag keine Wurzeln, Junge!« Carl versetzte mir einen weiteren ungeduldigen Stoß zwischen die Schulterblätter, als ich keinerlei Anstalten machte, die Tür zu öffnen. Er hörte sich bei weitem nicht so selbstsicher an, wie er wohl gerne geklungen hätte, nichtsdestotrotz aber durchaus entschlossen. Der Wirt war ein egozentrisches Arschloch und außerdem nicht unbedingt der Hellste, aber wenn ihn auch keine so heftige, plötzliche Angstattacke überfiel wie mich in diesem Augenblick, so konnte er bestimmt immerhin eins und eins zusammenzählen. Er konnte sich also ausrechnen, dass nach allem, was wir bislang über skrupellose Nazi-Wissenschaftler, Professor Sänger und diese Burg erfahren hatten, wahrscheinlich nichts Hübsches hinter einer wie dieser gekennzeichneten Tür im Keller dieses Gemäuers auf uns wartete. Aber sein Schatz war ihm ganz eindeutig wichtiger als unser aller seelisches Wohl.
    »Mach die Tür auf«, drängte er. »Los jetzt!« »Ich bin bei dir.« Judith betrachtete mich mit fast mütterlicher Sorge, während sie mir diese Worte zuflüsterte, und ich gab mir einen Ruck und drückte die klobige Klinke. Ich war derjenige, der für sie da sein und sie beschützen musste, nicht umgekehrt. Wie sollte ich ihr das Gefühl von Sicherheit vermitteln, wenn ich mich selbst nicht im Griff hatte?
    Was auch immer ich hinter dieser Tür erwartet hatte – ich traf es nicht dort an. Carl ließ den Lichtstrahl langsam und prüfend durch den Raum schweifen, den wir betraten.
    Er ähnelte in gewisser Weise dem Rektorzimmer in der ersten Etage – zumindest der mächtige Mahagonischreibtisch auf der linken Seite des staubigen Zimmers war anscheinend ein perfekter Klon des Möbels, in dem ich die Fotos gefunden hatte – er glich ihm bis auf die geschmacklose Tischleuchte mit dem grünen Glasschirm, nur dass der bei dieser Lampe angeschlagen und gut zur Hälfte zerborsten war, sodass die Schreibtischplatte von unzähligen kleinen Splittern, die wie Smaragde im Strahl der Taschenlampe glitzerten, übersät war. Rechts an der Wand machte ich einen hölzernen Waffenständer für Gewehre aus, der aber keine Schusswaffen mehr enthielt, sondern an den nur eine Fahnenstange angelehnt war, von der ein dreieckiger Wimpel hing. Ich identifizierte ihn als jenen der Pfadfindertruppe, den ich von dem Foto aus dem Geheimfach her kannte. Darüber hinaus war das Zimmer leer.
    Allerdings gab es eine weitere Stahltür auf der gegenüberliegenden Seite, in die aber kein Sehschlitz eingelassen war. Bei ihrem Anblick überfiel mich eine neuerliche, noch heftigere Angstattacke. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und trieb beißende Säure meine Speiseröhre hinauf, das Blut schien in meinen Adern zu Eis zu gefrieren und mein Hals war wie mit einem Drahtseil zugeschnürt, sodass ich kaum noch Luft bekam. Für einen kurzen Moment befürchtete ich, allein aus Angst einfach das Bewusstsein zu verlieren, hoffte es sogar fast, weil es bedeutet hätte, dass niemand mich mehr zwingen könnte, auch nur einen einzigen Schritt weiterzugehen.
    Aber Carl trieb uns erbarmungslos voran.
    »Wir müssen weiter«, maulte er ungehalten. »Das hier ist bloß die Wachstube. Die Schatzkammer liegt hinter der nächsten Tür.«
    Ungeduldig drückte er Ellen im Vorbeigehen den Scheinwerfer in die Hand, stieß mich grob beiseite, noch ehe ich den ersten zögerlichen Schritt in die angegebene Richtung machen konnte, und drängte sich zwischen Judith und mir hindurch, um die Tür zu öffnen. Jetzt, wies der letzte funktionierende Rest meines geschundenen Verstandes mich müde, in nahezu resignierendem Tonfall an.
    Jetzt war die beste Gelegenheit, sich von hinten auf den dicken Wirt zu werfen, ihn zu Boden zu reißen und ihm die Waffe zu entwenden. Aber ich war unfähig, etwas zu tun. Meine Beine gehorchten mir nicht mehr, ich hatte alle Mühe, sie
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