Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs
Autoren:
Vom Netzwerk:
Korridor angrenzten. Sie waren an den Seiten zur Orientierung mit akribisch ordentlichen gotischen Schriftzügen versehen; als Raum XII, XIII und XIV waren die Kammern zu unserer Linken ausgewiesen, rechts erkannte ich zwei stählerne Türen mit der Bezeichnung Labor II und Forschungssammlung I.
    Einmal mehr fragte ich mich mit großem Unbehagen, was sich hier unten vor langer Zeit zugetragen haben mochte, welch böses Spiel dieser verrückte Klaus Sänger und seine Gefährten hier gespielt haben mochten. Ich musste an die Schreckliches erahnen lassenden Dokumente in den Gängen mit den Betten zurückdenken und an die Bücher, die wir in Marias schrankartigem Koffer gefunden hatten. Menschenzucht, grausame Experimente an unschuldigen Kindern, Schädelvermessungen, Lkws voller schreiender, ihren Eltern geraubter Säuglinge und die blonden Kinder auf der Decke ...
    Ich hörte regelrecht, wie es in meinem Magen zu rumoren begann, und schüttelte den Kopf, als könnte ich die schrecklichen Gedanken auf diese Weise so schnell wieder loswerden, wie sie über mich hergefallen waren. Vergeblich. Was auch immer man während des Krieges hier unten getrieben hatte, es musste unsagbar grausam und unmenschlich gewesen sein, selbst wenn meine Vorstellungskraft dazu bei weitem nicht ausreichte.
    »Dort geht es zum Turm.« Carl deutete mit einer Kopfbewegung auf die linke Seite der nächsten angrenzenden Kreuzung. »Los jetzt, trödelt nicht so hier herum.«
    Für einen kurzen Augenblick fiel das Licht seines Scheinwerfers auf sein Gesicht, sodass ich den Ausdruck darauf erkennen konnte. Ich erschrak. Das Auge des Wirtes, das nicht nach wie vor hoffnungslos zugeschwollen war, war geweitet und von feinen roten Äderchen durchzogen, als hätte er Fieber; und obwohl es alles andere als warm in diesem Keller war, stand ihm der Schweiß auf der Stirn, sodass sein Haar ihm strähnig auf der Haut klebte.
    Er atmete schnell und schwer, und ich erkannte, dass er vor Erregung am ganzen Leib zitterte. Er wirkte wie wahnsinnig. Offenbar raubte ihm die vermeintliche Aussicht auf den Schatz, von dem er sein Leben lang geträumt hatte, den letzten Rest seines jämmerlichen Verstandes.
    Das machte ihn gefährlich.
    Obwohl ich für die Dauer von zwei, drei Atemzügen leise Schritte zu hören glaubte, die aus der entgegengesetzten Richtung zu uns hindurchdrangen, zeigte ich mich gehorsam und zog Judith mit mir in die angewiesene Richtung. Ich durfte Carl nicht reizen, sondern sollte mich bemühen, nicht noch eine Gelegenheit zu versäumen, aus der heraus ich ihn überraschend überwältigen konnte. Und was die Schritte anbelangte, so beruhigte ich mich, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur das Echo unserer eigenen war, das durch das Labyrinth und irgendwie um ein paar Ecken herum zu uns zurückschallte.
    Der Gang reichte nur einige Meter weit, dann wurde er durch eine massive Stahltür, von der graue Farbe abblätterte, versperrt. Es gab ein kleines Sichtfenster, das auf Augenhöhe in sie eingelassen und von der Innenseite her aber mit einer Schiebeblende verschlossen war. Forschungssammlung II verriet der Schriftzug auf der weiß getünchten Wand daneben.
    Auf einmal überfiel mich ein neuerliches Déjà-vu, ähnlich jenen, wie ich sie in dieser Nacht schon oft erlebt hatte, obwohl ich einhundertprozentig davon überzeugt war, noch niemals in dieser Burg, geschweige denn in diesem Keller gewesen zu sein. Aber es war mehr als einfach nur das plötzlich auftretende, vage Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein, mehr als eine kurze Irritation meiner Sinne, hervorgerufen durch eine etwaige Kombination von Farben und Gerüchen, wie sie mir vielleicht schon irgendwo in anderer Weise begegnet waren. Obwohl mein Verstand energisch dagegen argumentierte, fast schon hysterisch aufkreischte, dass es nicht so sein konnte, bestand mein Gefühl darauf, schon einmal hier gewesen zu sein und überschüttete mich mit Empfindungen, die sich festgesetzt hatten. Sie hatten im Verborgenen geschlummert, verdrängt und vergessen, weil sie zu schrecklich waren, zu qualvoll, um anders mit ihnen umzugehen, als sie in Ketten zu legen und jeden noch so kurzen Blick auf sie zu vermeiden. Da war blanke Angst, Panik, die Gewissheit, diese Tür auf keinen Fall und für nichts auf der Welt öffnen zu dürfen, meine Füße nicht über die Schwelle dieses Raumes setzen zu dürfen und das, was mich dahinter erwartete, nicht sehen zu wollen, da ich es nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher