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Nelken fuers Knopfloch

Nelken fuers Knopfloch

Titel: Nelken fuers Knopfloch
Autoren: Horst Biernath
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verschwand. Die Eisstücke in dem Glaskrug hatten sich aufgelöst. Das Getränk war zu warm geworden. Er zündete sich eine Zigarette an und ließ sich in die breite Liegeschaukel zurücksinken. Die Sonne näherte sich ihrem Scheitelpunkt, die Solnhofer Platten glühten wie flüssiges Gold, aber die Schatten des rot-weißen Leinendaches über der Schaukel und der leichte Ostwind, der das Wasser im Swimming-pool kräuselte, machten den Aufenthalt auf der Terrasse erträglich. Eine dicke Hummel summte um die Karaffe mit dem Fruchtsaft, Marcel blies sie mit einem Rauchstrahl fort, die flimmernde Hitze über der Landschaft und die Mittagsstille schläferten ihn ein und ließen seine Gedanken zurückwandern. Zu jenen vergangenen Tagen, in denen er — und die Schuld des Versäumnisses, sich Heliane erklärt zu haben, war immer noch ein leiser Schmerz — sie verloren hatte.

3

    Heliane lernte, während Marcel Etienne als Assistent des Baseler archäologischen Instituts unter Professor Fröben eine Forschungsexpedition nach Yukatan mitmachte, Michael Pforten kennen. Er war über Nacht berühmt geworden und mit den wachsenden Bühnenerfolgen zu seinen ersten größeren Filmrollen gekommen. Auf der Leinwand besaß er jene geheimnisvolle Ausstrahlung, die ihn mit dem ersten Auftreten vor der Kamera zu einem Liebling des Kinopublikums machte. Dabei war er durchaus nicht das, was man einen >schönen Mann< nennt. Aber er besaß einen unwiderstehlichen Charme. Sein Lächeln bezauberte die Menge. Er liebte Rollen, die Tiefpunkte enthielten, bei denen das Publikum die Taschentücher locker machte und aus denen er sich strahlend wie der Phönix aus der Asche ins Licht schwingen konnte. Seine liebsten Partner waren ihm Kinder, natürliche Geschöpfe, die er aus den zahllosen Anwärtern auswählte, die ihm ehrgeizige Eltern präsentierten. Sommersprossige Jungen mit frechen Stupsnasen und krähenden Stimmen, kleine Mädchen mit steifen Zöpfen und dem lückenhaften Gebiß des Zahnwechsels, und es war fast unglaublich, was er aus seinen kleinen Partnern herausholte und wie er sich an ihnen emporrankte. Chaplins unnachahmliche Darstellungskunst war das Ziel, das er erstrebte. Er besaß eine Kopie von >The Kid<, die er sich in seinem Heimkino immer wieder ansah. Nach diesen privaten Vorstellungen war er zumeist tief melancholisch gestimmt.
    Mitten im wachsenden Ruhm zu Beginn seiner Karriere lernte er die zwanzigjährige Musikstudentin Heliane Sartor kennen, verliebte sich in sie und heiratete Heliane, da es auch von ihrer Seite eine Liebe auf den ersten Blick war, bereits sechs Wochen nach der ersten Begegnung.
    Die Illustrierten brachten ganze Bildseiten von der Hochzeit und taten gerade so, als habe ein Märchenprinz ein Aschenbrödel zum Traualtar geführt. Tatsächlich hatte es Heliane Sartor durchaus nicht nötig, >eine gute Partie< zu machen. Sie stammte aus sehr wohlhabenden Verhältnissen. Ihr Vater, Heinrich Sartor, besaß eine renommierte Speditionsfirma, die seit drei Generationen im Familienbesitz war und dem Inhaber bedeutend mehr als nur die Butter zum Brot einbrachte. Er war von der Tatsache, einen Schauspieler zum Schwiegersohn zu bekommen, durchaus nicht beglückt und stand die Hochzeit mit einem Gesicht durch, das deutlich zu sagen schien: Na, wenn das nur gutgeht...
    Marcel Etienne, der in jenen Tagen gerade aus Mexiko nach Europa kam, erfuhr die Geschichte dieser Heirat aus den Zeitungen. Zunächst tief enttäuscht und verletzt, sah er schließlich ein, daß die Ursache, weshalb Heliane ihm einen anderen Mann vorgezogen hatte, ausschließlich bei ihm selber lag. Er meldete sich von Genf aus telegrafisch bei Heliane, daß er wieder in Europa sei, und erhielt von ihr postwendend die Bitte, an der Hochzeit als Trauzeuge teilzunehmen und mit Michael Pforten Freundschaft zu schließen. Sie wurden Freunde, auch wenn es eine etwas eifersüchtige Freundschaft blieb. Natürlich war es ein Scherz, wenn Etienne zuweilen seufzte, er warte auf den Moment, in dem Heliane von diesem unausstehlichen Menschen genug habe. Pforten grinste liebenswürdig, wenn er das hörte, und erwiderte, Etienne werde leider warten müssen, bis Heliane seine Witwe sei, aber er habe durchaus nicht die Absicht, ihr die Pflege der Blumen über seinem Grab allzubald anzuvertrauen.
    Vielleicht spürte Heliane bei solchen Frotzeleien genau, daß sich unter der Schale des Scherzes ein sehr ernsthafter Kern verbarg. Und es ist durchaus möglich, daß diese
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