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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman
Autoren: Michel Birbaek
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wie ein neugieriges Kind, und machte mir so meine Gedanken. Als Nele ging, war ich Anfang zwanzig und dachte, dass es normal ist, ein Mädchen zu haben, das man bedingungslos liebt. Ich dachte, dass irgendwann die Nächste kommt, mit der es dann genauso wird. Der Irrsinn solcher Annahmen wird einem erst später bewusst. Seine große Liebe zu verlieren wirft ein neues Licht auf die Dinge.
    Aber diesbezüglich hatte das Leben Rokko bislang ungeschoren davonkommen lassen. Anita verließ ihn nicht, egal was er anstellte. Ihm passierte nicht mal im Straßenverkehr etwas, obwohl er auch da nicht zurücksteckte. Wir schossen über die Landstraße, überholten Trecker, schnitten PKWs und ließen erschrockene Kurortbesucher hinter uns zurück. Eine Zeit lang hatte ich versucht, ihm den Zusammenhang zwischen zu schnellem Fahren und dem fehlenden Bein meiner Mutter zu erklären, aber auf dem Ohr war er taub.
    Als wir in die Einfahrt einbogen, kam November aus demHaus gerannt und führte einen Freudentanz auf. Rokko erinnerte mich an die wöchentliche Pokerrunde und scheuchte mich aus dem Wagen, damit die Töle ihm nicht den heiligen Lack zerkratzte. Der GT schoss in einer Staubwolke vom Hof. Ich packte die Einkäufe und kämpfte mich in Richtung Haus, während ich versuchte, nicht über November zu stolpern, der mit wedelnden Ohren um mich herumhüpfte wie eine Wolke Flöhe.
    »Hast du mich vermisst?«
    Er legte einen schrägen Sprung hin. Man brauchte nur fünf Minuten wegzugehen, um empfangen zu werden, als kehre man von einer Weltreise zurück. So eine Frau wollte ich.
    Mein Blick blieb an dem Rollstuhl hängen, der neben der Garage stand und auf den ersten Blick okay aussah. Als ich näher kam, sah ich, dass sich lange, vertrocknete Grashalme in der Radachse verflochten hatten. Mit dem, was da noch so alles rumhing, hätte man ein Naturkundemuseum eröffnen können. Langsam hatte ich die Nase voll.
    In der Küche roch es nach Béarnaisesoße. Mor stand am Herd und rührte in einem Topf. Sie trug einen grünen Trainingsanzug, der einen starken Kontrast zu ihren roten Haaren bildete, die sie sich beim Kochen hochgesteckt hatte. Dort, wo ihr rechtes Bein sein sollte, pendelte ein leeres Hosenbein – zusammengeknotet, um nicht im Weg zu sein. Der Beinstumpf ruhte auf dem Griff einer Krücke.
    »Hast du sie angesprochen?«
    Ich stellte die Einkäufe auf den Küchentisch, drückte Mor einen Kuss auf die Wange und sah in den Topf.
    »Wen?«
    »Die Neue. Sie sieht wirklich klasse aus, oder?«
    »Keine Ahnung. Der Rollstuhl ist übrigens nicht fürs Gelände geeignet.«
    »Sehr attraktiv. Und so freundlich.«
    »Kein Grund, das Ding zu zerstören.«
    »Sie trug keinen Ring.«
    »Dann werde ich mal nach dem Gartenzaun schauen, aber zuerst geh ich duschen.«
    Ich marschierte los.
    »Wenn du sie nicht anrufst, tu ich es!«, rief sie mir nach.
    »Wusste gar nicht, dass du lesbisch bist!«, rief ich und ging die Treppe hoch in mein Reich. Eine ganze Etage für mich. Großes Zimmer, Bad mit Wanne, Gästezimmer, Abstellraum. Ich hatte mehr Platz, als ich brauchte. Ein weiterer Luxus, den das Dorfleben mit sich brachte.
    Als ich wieder runterkam, summte Mor mit dem Radio, und der wunderbare Duft von frischem, warmem Essen trieb mir das Wasser in den Mund. November hatte den Kopf gesenkt und schielte erwartungsvoll zum Herd hoch, jederzeit bereit, aus den Startlöchern zu springen, wenn der Topf einen Fluchtversuch wagen sollte. Das Radio spielte Unforgettable . Wir sangen mit. Wie immer dachte ich dabei an Nele. Wer weiß, an wen Mor dachte.

    Im Garten war es still. Der Wind machte Siesta. Kein Blatt bewegte sich. Die Nachmittagssonne knallte erbarmungslos auf den Sonnenschirm, unter dem wir ein frühes Abendessen zu uns nahmen. Mors Haut glänzte vor Schweiß, und sie war schwer genervt von den Fliegen. In der Küche hatte sie einen Handstaubsauger, mit dem sie Fliegen, Mücken und Motten entsorgte, doch hier draußen erwischte sie sie nicht. Ich pellte Kartoffeln und lachte über ihre vergeblichen Versuche, einerseits die Viecher zu verjagen und anderseits mir den Ernst der Lage zu erklären.
    Sie hatte mich geboren und alleine großgezogen, jetzt musste sie mich nur noch verheiraten, dann würde sie von der Vereinigung kompetenter Mütter die goldene Ehrennadel erhalten und könnte sich endlich entspannen. Vor meiner Geburt hatte sie in Dänemark als Köchin gearbeitet. Sie hatte sich von einer Auszubildenden zur Assistentin des
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