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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman
Autoren: Michel Birbaek
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hatte. Ich war nach Hamburg gefahren, wir hatten uns in einem Café verabredet, drei Stunden Kaffee getrunken und über das Leben geredet. Es war ein komisches Gespräch gewesen. Zwei Fremde, die versuchten, sich nicht anmerken zu lassen, wie nervös sie waren. Danach hatten wir uns die Hand gegeben, und als ich ins Taxi gestiegen war, um wieder zum Bahnhof zu fahren, war mir klar gewesen, dass ich ihn nicht wiedersehen musste. Er hatte mich gezeugt, aber er gehörte nicht zur Familie. Familie waren Menschen, die füreinander da waren. Dazu gehörte er nicht. Und auchwenn Mor versucht hatte, sich nichts anmerken zu lassen, war ihre Erleichterung nicht zu übersehen gewesen.
    Auch im Revier hatte sich was getan. Hundt lag mit einem Magengeschwür im Krankenhaus, und da die Neue Dienstranghöchste war, hatten wir den ersten weiblichen Chef der Reviergeschichte. Außerdem hatte Telly den Dienst quittiert. Alle wunderten sich. Fast alle. Rokko wollte ihm immer noch ans Leder, aber um ihm Beihilfe nachzuweisen, hätte man den Mord beweisen müssen. Die damit verbundene Untersuchung wollte keiner Nele zumuten.
    Nele.
    Seit sechs Monaten war sie in einer Klinik in Ahrweiler. Letzten Herbst hatte ich meinen Jahresurlaub genommen, um die ersten vier Wochen bei ihr bleiben zu können. Ich hatte mir ein Pensionszimmer direkt neben der Klinik genommen und jeden Tag mit ihr verbracht. Seitdem hatte ich sie jedes Wochenende besucht, bis sie anfing, jedes zweite Wochenende bei uns zu verbringen. In der Klinik hatte sie weitere Aussetzer gehabt, aber bei jedem Besuch merkte man ihr die Erleichterung an. Sie war in guten Händen.
    Nach Einschätzung der Therapeuten hatte sie auf den Missbrauch mit einer Spaltung ihrer Persönlichkeit reagiert, und der Mord an ihrer Mutter hatte den Bruch gefestigt. Die Drohung ihres Vaters war wahr geworden: Mama hatte das Geheimnis erfahren und war eingeschlafen, also durfte es niemand je erfahren. Und so hatte sie alles noch tiefer in sich vergraben, um uns zu schützen. Die Ärzte vermuteten, dass der Anblick ihres kranken Vaters der Trigger gewesen war, der das Auf brechen des Traumas ausgelöst hatte. Die Wahrheit wollte ans Licht, und Nele hatte darauf mit Schocks und Wut reagiert. Die Therapeuten redeten von Brüchen … Abspaltung … multiplen Identitäten, und vielleicht hatten sie recht, aber für mich gab es nur eine Nele. Meine.
    Wir hatten nicht wieder von Amsterdam gesprochen, aber ich würde mit ihr gehen, egal wohin. Auch wenn es immer mehr Gründe gab zu bleiben, denn Nele war mitschwanger. Sie liebte Anitas Bauch. Die beiden konnten stundenlang über Erziehung reden. Wenn sie mal wieder steilgingen, stöhnten Rokko und ich wie waidwunde Tiere, aber innerlich lächelte ich. Vielleicht würde sie ihr Patenkind aufwachsen sehen wollen. Vielleicht würde sie auf den Geschmack kommen, und eins war klar: Nirgends auf der Welt gab es einen besseren Ort, um Kinder aufwachsen zu lassen. Wir hatten Platz, Natur, Freunde, jede Menge Babysitter und einen Hund. Ja, ein Kind. Eine eigene Familie. An mir sollte es nicht scheitern.
    Rokko drehte die Musik leiser.
    »Mann, der erste Tag. Lass uns irgendjemanden verhaften.« »Wen denn?«
    »Egal.«
    »Wir brauchen einen Grund.«
    »Ach, scheiße.«
    Ich musste lachen. Mein Handy vibrierte. Auf dem Display leuchtete ein Foto von Nele auf. Die SMS bestand aus zwei Wörtern. Mir war nach Kragehops. Morgen würde sie nach Hause kommen und eine ganze Woche am Stück bleiben. Ich würde sieben Tage mit ihr verbringen. Sieben Mal mit ihr einschlafen. Sieben Mal mit ihr aufwachen. Aufwachen. Ja. Wenn ich an die letzten neun Jahre dachte, kam es mir vor, als ob auch ich auf eine Art verschiedene Persönlichkeiten hatte. Eine mit Nele. Eine ohne sie.
    Ich schrieb eine SMS zurück, legte das Handy weg und drehte die Musik voll auf. Wir sangen den Kehrreim laut mit, was uns Blicke der anderen Verkehrsteilnehmer einbrachte, aber, he, auch Polizisten waren Menschen, sie brauchten Spaß, sie machten Fehler, sie liebten. Und wie. Ich sah meinen headbangenden Freund neben mir, dachte an Mor und an meinen Hund, ich dachte an spielende Kinder im Garten,an eine Ferse zwischen meinen Waden und an einen weiteren Tag mit ihr. In diesem Moment war ich glücklich. Ich wusste nicht, wie man die Vergangenheit veränderte, aber was die Zukunft anging, machte ich mir nichts vor.
    an eine Ferse zwischen meinen Waden und an einen weiteren Tag mit ihr. In diesem Moment war ich
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