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Nebra

Nebra

Titel: Nebra
Autoren: Thomas Thiemeyer
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spuckte einen roten Fleck in den Sand.
    Der Teufel warf ihm einen vernichtenden Blick zu, dann ging er an ihm vorbei. Bei dem blonden Mädchen rechts außen blieb er stehen. Sie war die Einzige aus der Gruppe, die noch nicht zur Besinnung gekommen war. Ihr Körper hing vorn-übergebeugt an dem Pflock. Der Teufel stieß seinen Stab kraftvoll auf den Boden und deutete mit dem Finger auf sie. Wie aus dem Boden gewachsen erschienen die beiden Wolfskreaturen an seiner Seite. Mit schnellen, geschickten Bewegungen nahmen sie dem Mädchen die Fesseln ab. Dann schleiften sie sie zum Altar und legten sie rücklings darauf, das Gesicht zur Decke gerichtet. Als ihre Hände und Füße mit den Ketten verbunden und straff gezogen wurden, kehrte langsam das Leben in ihren Körper zurück. Mit schwachen Bewegungen versuchte sie sich zu befreien. Aus blutunterlaufenen Augen sah der Junge zu dem Altar hinüber ... und erstarrte. Auf einmal schien alles einen Sinn zu ergeben. Die Ketten, die Rinnen am Stein und die dunklen Flecken auf dem sandigen Untergrund.
    Urplötzlich erschien eine blitzende Klinge in der Hand des Teufelsmenschen.
    »Nein«, stieß er aus. »Nein, nein, nein.«
    Es fühlte sich alles so unwirklich an, als stünde er immer noch unter Drogen, als würde er das alles nur träumen.
    Aber es war kein Traum, das spürte er mit jeder Faser seines Körpers.
    Das Trommeln und die Gesänge hatten wieder eingesetzt. Dunkel und unheilvoll erhoben sich die Stimmen. Die Bewegungen des Opfers wurden lebhafter. Der Teufel durchschnitt den Stoff des Pullovers und des Büstenhalters, so dass die nackte Haut darunter sichtbar wurde. Schrecklich bleich und mager sah das Mädchen aus, beinahe durchscheinend. Die Arme und Beine ausgestreckt, wirkte sie wie ein Schmetterling, der bereit war, davonzufliegen. Der Teufel umrundete sein Opfer. Immer wieder erhob er seine Hände zur Höhlendecke, dann wieder breitete er die Arme in Richtung des Bodens aus, als wollte er etwas aussäen. Mit einer Bewegung, die aussah, als würde er das Mädchen streicheln, zog er die Klinge über ihr rechtes Schlüsselbein. Ein schwacher Schrei löste sich von ihren Lippen. Sie wehrte sich, doch die Ketten hielten sie zurück. Blut trat aus der Wunde, lief ihren Arm entlang und benetzte den Stein. Mit einer ebenso gewandten Bewegung wiederholte der Teufelsmensch den Vorgang auf der linken Seite. Die Wolfskreaturen rückten näher. In ihren Augen leuchtete Gier. Ohne sie zu beachten, brachte ihr Meister zwei weitere Schnitte kurz oberhalb des rechten und linken Fußgelenks an. Dunkles Blut quoll aus den Wunden. Es lief in die steinernen Kanäle und sammelte sich in den runden Vertiefungen.
    Der Junge war wie erstarrt. Er konnte nicht glauben, was er da sah. Er zog und zerrte an seinen Fesseln. Seine Wut und seine Verzweiflung kannten keine Grenzen. Er riss an den Schlaufen, doch das Leder gab keinen Millimeter nach. Seine Machtlosigkeit trieb ihm die Tränen in die Augen. Der Teufelsmensch hatte die Vorbereitungen beendet. Mit einem triumphierenden Ausdruck im Gesicht reckte er den Dolch in die Höhe, als ein schwacher Schrei ertönte. Das Mädchen auf dem Opferblock war jetzt hellwach. Ihr Gesicht war aschfahl, ihre Augen hatten einen fiebrigen Glanz. Hilfesuchend blickte sie zu ihren Freunden hinüber. Ihr Blick war ein einziges Flehen. Auf ihren trockenen Lippen formten sich Worte, die jedoch in den Gesängen und dem infernalischen Trommeln untergingen. Die Zeremonie hatte ihren Höhepunkt erreicht. Der Teufelsmensch verdrehte die Augen, hob die Klinge und rammte sie dem Mädchen mit einer kraftvollen Bewegung in die Brust. Ihr bleicher Leib bäumte sich auf, als das Messer bis zum Heft durch sie hindurch fuhr. Die Ketten spannten sich, dann erschlaffte ihr Körper. Die Kreaturen kamen zu dem Altarstein gekrochen und fingen an, das Blut vom Sockel zu lecken. Der Teufel vertrieb sie mit Fußtritten. Der Junge hatte das Gefühl, der Himmel würde über ihm zusammenstürzen. Tränen rannen über sein Gesicht, während er sich in den Staub vor seinen Füßen erbrach. In diesem Moment geschah etwas Seltsames. Zuerst war es nur ein Schimmern am Rande seines Gesichtsfeldes, doch mit der Zeit wurde es immer deutlicher. Von den Scheiben, die in den Altarstein eingelassen waren, begann ein Leuchten auszugehen. Schwach erst, dann mit stetig zunehmender Helligkeit. Die Formen der Scheiben schienen zu verschwimmen. Auch die Konturen des Steinblocks lösten sich auf.
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