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Nebra

Nebra

Titel: Nebra
Autoren: Thomas Thiemeyer
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ebenso legendär war wie der des berühmten Howard Hughes. Strombergs Gespür für seltene Funde war beinahe ebenso phänomenal wie sein Riecher für gute Geschäfte. Er war nicht nur einer der wohlha-bendsten und einflussreichsten Männer der Welt, sondern auch einer der bedeutendsten Kunstsammler. Und genau darum ging es bei Johns Arbeit, um das Aufspüren von Kunstschätzen. Er war Strombergs Spürhund, sein Scout, wie man diese Leute in der Branche auch nannte. Stromberg hatte seine Leute rund um den Erdball im Einsatz. Wo immer Gerüchte von neuen Funden die Runde machten, waren sie zuerst da. Manchmal sogar, ehe die zuständigen Behörden davon Wind bekamen. Sie waren autorisiert, Kunstwerke aufzukaufen oder sich auf irgendeine andere Art die Besitzrechte zu sichern. Und ihre Mittel waren unerschöpflich. Inzwischen gehörten dem Milliardär Höhlen in Südfrankreich, Paläste in Indien, Tempel in Japan sowie Schiffe, die mitsamt ihren Schätzen in den Tiefen des Meeres versunken waren. Sein Hunger auf Relikte mit geheimnisvoller Vergangenheit war ebenso groß wie sein Bankkonto, und das wollte bei diesen Dimensionen schon etwas heißen.
    Hannah war fest entschlossen, sich von Johns Charme und seinem guten Aussehen nicht einwickeln zu lassen. »Es ist viel geschehen im letzten Jahr«, sagte sie. »Ich stecke bis über beide Ohren in Arbeit und werde deshalb nicht lange bleiben können. Nur eine schnelle Information, dann bin ich auch schon wieder weg.« Sie merkte, dass ihr Ton ein wenig zu schroff war, und fügte etwas milder hinzu: »Danke, dass du gekommen bist. Ich weiß das wirklich zu schätzen.« »Ich bin es, der zu danken hat«, sagte John, und Hannah meinte einen rosigen Schimmer über seine Wangen huschen zu sehen. »Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich auf diesen Moment gefreut habe. Tausend Dinge wollte ich dir sagen, tausend Fragen stellen. Aber kaum stehst du vor mir, ist alles wie weggeblasen. Verrückt, oder? Ich hatte gehofft, dass wir vielleicht reden könnten ...«
    »Tun wir das nicht gerade?« Hannah wusste genau, worauf er hinauswollte. Seit einem Jahr herrschte Funkstille zwischen ihnen. Er war damals von Washington aus in die Sahara gereist, um für Stromberg Ausgrabungen im nigerianischen Air-Gebirge zu leiten, sie hingegen war - nach einer kurzen Phase, in der sie feststellen musste, wie sehr sich die USA in den Jahren nach dem elften September verändert hatten - nach Deutschland zurückgekehrt. Sie folgte damit einer Einladung des Museums für Ur- und Frühgeschichte des Landes Sachsen-Anhalt, dessen Direktor Hannahs Verdienste um die außergewöhnlichen Saharafunde zu Ohren gekommen waren. Kaum in Halle angekommen, hatte er ihr ein Projekt angeboten, das sie unmöglich ausschlagen konnte. Ein Projekt, das so einzigartig war, dass die Forschung sich über dessen wahre Dimensionen immer noch nicht im Klaren war. Die Himmelsscheibe von Nebra. Der aufregendste Fund der letzten hundert Jahre für die europäische Frühgeschichte.
    Welcher Archäologe bekam keine glänzenden Augen, wenn die Sprache auf dieses annähernd viertausend Jahre alte Fundstück kam? Wer hätte bei einem solchen Angebot nicht gleich zugegriffen? Doch hätte sie jemals ahnen können, dass sich die Entschlüsselung dieses kleinen Blechtellers als dermaßen schwierig erweisen würde. Ein Dreivierteljahr zäher Forschung lag hinter ihr. Verbittert hatte sie irgendwann einsehen müssen, dass sie allein nicht weiterkam. Sie brauchte Hilfe. Und der Einzige, der über das nötige Fachwissen verfügte und ver-fügbar war, war John. Ausgerechnet!
    Sie musste daran denken, wie sie sich kennengelernt hatten, gar nicht weit von hier, in Algerien. Die Erinnerung tat weh. »Ich habe bis heute nicht verstanden, warum du damals so sang- und klanglos gepackt hast und abgereist bist«, sagte John, als habe er ihre Gedanken erraten. »Es gab nicht den geringsten Grund dafür.«
    Hannah verdrehte die Augen. Ihr hätte klar sein müssen, dass er nicht aufgeben würde. Nicht John. »Ich habe es dir doch erklärt«, sagte sie. »In E-Mails, in Briefen und am Telefon. Über Seiten hinweg habe ich dir meine Beweggründe zu erklären versucht. Wenn dir das immer noch nicht reicht, kann ich dir auch nicht helfen.« Sie spürte, wie das schlechte Gewissen sich in ihr meldete.
    »Nein, du hast recht«, sagte er, und seine Stimme bekam einen traurigen Tonfall. »Ich habe es wirklich nicht verstanden. Aber nur, weil du nie über Gefühle
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