Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nebra

Nebra

Titel: Nebra
Autoren: Thomas Thiemeyer
Vom Netzwerk:
gesprochen hast. Du hast mir erklärt, dass wir zu verschieden seien, um eine dauerhafte Beziehung zu haben. Du sagtest, du würdest mein Verlangen spüren, nach Afrika zurückzukehren, und wärst der Meinung, ich würde nur dir zuliebe in Washington bleiben. Ein Almosen sozusagen, ein Opfer aus Mitgefühl. Und du hast gesagt, dass du unter diesem Druck keine Beziehung führen könntest. Das alles hast du mir mitgeteilt, ohne mir eine Chance zu einer Erwiderung zu geben. Du hast diese Dinge in mich hineininterpretiert, ohne mich jemals zu fragen, wie ich dazu stehe. Wahrscheinlich hast du davor zurückgescheut, weil du genau wusstest, wie meine Antwort ausfallen würde.« »Ich wollte dir nicht weh tun«, sagte Hannah. Sie hasste es, von John durchschaut zu werden. Er war einer der wenigen, die das konnten. »Ich kannte dich gut genug, um zu wissen, dass du liebend gerne Strombergs Angebot, die Ausgrabungen im Niger zu leiten, angenommen hättest. Du bist nur meinetwegen geblieben.«
    »Es war nicht fair, einfach so zu gehen, und das weißt du«, sagte John mit gepresster Stimme. »Du hast nie offen mit mir darüber gesprochen. Du hast für dich die Karten ausgelegt und danach gehandelt. Mich in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen, dieser Gedanke ist dir wohl nicht gekommen. Wenn du mich fragst, warst du zu lange in der Wüste.« Hannahs Augen funkelten. »Was soll denn das wieder heißen?« »Das heißt, dass du über Jahre hinweg darauf angewiesen warst, eigene Entscheidungen zu treffen. Und genau das hast du wieder getan. Vielleicht war dir das Leben mit mir zu eng, zu klein, zu bürgerlich - wer weiß? Was immer der Grund war, du hast entschieden, dass du so nicht leben möchtest, und danach gehandelt. Einsam und allein, wie du es immer getan hast. Aber du warst nicht allein, du warst mit mir zusammen. Ich habe dich geliebt, Hannah, und das tue ich immer noch. Was du getan hast, war einfach nicht fair.« Die Worte verhallten im Wind, der um die steinernen Pfeiler strich und kleine Staubwolken vor sich herwehte. Von irgendwoher erklang der klagende Schrei eines Falken. »Können wir jetzt bitte zur Sache kommen?« Sie hatte einen Kloß im Hals. Ihr war klar, dass er die alte Geschichte aufkochen würde - das war der Preis, den sie für seine Hilfe zahlen musste. Sie hatte nur nicht gewusst, dass es so weh tun würde.
    John zuckte die Schultern und sagte mit einem Seufzen: »Na schön. Du hast mir geschrieben, es ginge um Sterne und dass du meine Hilfe brauchst. Also, hier bin ich. Was genau willst du?«
    Hannah zog eine Abbildung der Sternenkarte aus ihrer Umhängetasche und reichte sie John. Das Foto hatte zwar ein paar Eselsohren abbekommen, aber das Motiv war immer noch beeindruckend schön.
    John stieß einen Pfiff aus. »Ich will verdammt sein. Darum geht es also. Willst du mir etwa erzählen, dass du gerade daran arbeitest?«
    »Ich bin die Projektleiterin«, sagte Hannah, nicht ohne Stolz. »Wow!« John warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Du mischst gleich ganz oben mit. Respekt. Und wie geht die Arbeit voran? Ich hoffe, es ist nicht zu einfach für dich.« »Du kennst mich doch. Einfach ist nicht mein Stil.« »Wohl wahr«, grinste John. »Die Himmelsscheibe ist frühe Bronzezeit, richtig?«
    Hannah nickte. »Eine Kultur, über die wir so gut wie nichts wissen, nicht mal ihren Namen.« »Und sie haben nichts Schriftliches hinterlassen.« »Der Kandidat hat hundert Punkte.« Hannah war froh, endlich das leidige Trennungsthema hinter sich zu lassen und mit ihrer Arbeit fortzufahren. »Wenn wir wenigstens Tontafeln oder etwas Ähnliches hätten. Aber bisher Fehlanzeige. Wenn in dieser Zeit überhaupt etwas geschrieben wurde, dann auf Material, das die Zeit nicht überdauert hat.« »Das Problem haben wir heute auch«, ergänzte John mit einem ironischen Lächeln. »Bücher, CDs, Zeitungen, nichts davon wird in tausend Jahren noch existieren. Wir werden eine Kultur sein, über die sich kommende Generationen gehörig den Kopf zer-brechen werden - wenn es dann überhaupt noch Menschen gibt.«
    »Alles, was wir über sie wissen, müssen wir uns anhand von Grabbeigaben wie Kelchen, Schwertern und Schmuckstücken zusammenreimen. Reichlich wenig, wenn man nicht weiß, wie man diese Objekte interpretieren soll. Stell dir mal vor, in tausend Jahren fände jemand ein Kruzifix. Das Abbild eines Menschen, den man an ein Kreuz genagelt hat. Wahrscheinlich würde man davon ausgehen, einen Verbrecher vor sich zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher