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Nebeltod auf Norderney

Nebeltod auf Norderney

Titel: Nebeltod auf Norderney
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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mit schäumender Gischt an der Böschung der Strandpromenade.
    Durch die abgedunkelte Scheibe des Fensters sah Johann Heynen die hohen Promenadenlichter. Okka Klien hatte ihm den Tee gebracht. Sie hatte das Stövchen, den Kluntjebecher, den Milchtopf und das Teekännchen vor ihm auf den Tisch gestellt.
    »Ach, es ist mitunter erfrischend, wenn man an früher erinnert wird«, sagte er. »Wir hatten einen strengen Englischlehrer. Wir schrieben unsere Abiturarbeit über den Roman ›Auf Messers Schneide‹ von Somerset Maugham. Und sehen Sie, ich lese gerade, dass der Autor gestern in Frankreich verstorben ist.«
    Er hielt ihr die Zeitung entgegen und sie folgte seinem Hinweis und las: »Saint-Jean-Cap Ferrat, 16. Dezember 1965. In seiner Wahlheimatbei Nizza starb der erfolgreiche englische Schriftsteller William Somerset Maugham im Alter von 91 Jahren.«
    »Schön alt geworden, der Knabe«, sagte Johann Heynen.
    »Wir haben von ihm eine Kurzgeschichte gelesen. Die spielte in Singapur«, antwortete sie.
    Sie trug ein Kostüm mit ausgestelltem Rock und weißer Bluse. Sie war sehr schlank und hatte ein hübsches Gesicht mit blauen Augen. Ihr Haar war blond. Sie trug es zu einem Pferdeschwanz gebunden.
    »Und Sie arbeiten in Esens als Kindergärtnerin«, sagte er.
    »Das macht mir Spaß. Aber im Sommer wäre ich lieber zu Hause«, antwortete sie und lachte gewinnend. Sie sah niedlich aus.
    »Haben Sie schon Weihnachtsferien?«, fragte er.
    »Nein. Am Sonntagabend fahre ich wieder zum Festland«, sagte sie und nahm das Tablett in die Hand.
    »Wie wäre es mit einem gemeinsamen Spaziergang? Gehen Sie morgen mit mir über den Reiterweg zur Ostspitze?«, fragte er verlegen.
    »Ja, gern«, sagte sie. »Ich habe auch eine Überraschung für Sie. Eine Dokumentation für Ihr Heimatmuseum. Die bringe ich morgen mit.«
    »Danke«, hatte er mit einem Seufzer geantwortet und die Zeitung beiseitegelegt, als seine Skatbrüder kamen.
     
    Auch am folgenden Tag blies der Wind mit Stärke 7 aus östlicher Richtung. Am Himmel trieben graue, dichte Wolken.
    Johann Heynen und Okka Klien schritten am Strand entlang. Das Wasser war abgelaufen, und die Flut setzte ein. Die Wellen donnerten mit weißen Kronen auf den Sand und rollten aus.
    Der Blick der beiden Wanderer reichte bis zum Horizont. Sie trugen warme Anoraks, Jeans und festes Schuhwerk. Der in Böen stürmische Wind wehte ihnen den Sand dicht über dem Boden entgegen. Möwen hingen im Wind. Polare Luft sorgte für eisige Kälte.
    An diesem Morgen waren Okka Klien und Johann Heynen allein unterwegs. Weit und breit begegneten sie keinen Wanderern, diewie sie an dem garstigen Sonntag in der Weihnachtszeit im Naturschutzgebiet der Insel unterwegs waren.
    Okka Klien und Johann Heynen hatten sich viel zu erzählen. Mitunter machte es ihnen Mühe, sich zu verstehen, wenn der Sturm heulte und die Wellen rauschten.
    Okka Klien hielt ihr Versprechen. Als sie die Schutzhütte erreichten, übergab sie Johann Heynen, der als Verwalter des Heimatmuseums fungierte, ein Geschenk, das sie selbst stark berührte. Es war ein Zeitungsartikel des »Ostfriesischen Kuriers« von 1909. Er berichtete von einer Begebenheit, die sich damals zur Weihnachtszeit ereignet hatte.
    Johann Heynen las.
    »Haake Gerdsen aus Baltrum, zwanzigjähriger Schüler der Steuermannschule in Leer, erreichte am Tag vor dem Heiligen Abend im Jahre 1909 am Abend in der Dunkelheit Neßmersiel. Das Wetter war wie so oft um diese Jahreszeit windig und kalt, aber es hatte weder geregnet noch geschneit. An diesem Abend leuchteten weder der Mond noch die Sterne. Am Himmel hingen dichte Wolken. Das Fährschiff nach Baltrum war schon vor zwei Stunden abgefahren. Es war verständlich, dass es den jungen Seemann zum Ferienbeginn nach Hause drängte. Er besuchte einen Bekannten in Neßmersiel und bat ihn um einen freundschaftlichen Dienst. Es gehörte nicht viel Können und kein Mut dazu, den werdenden Steuermann zur Insel zu segeln. Kurz entschlossen machten sie sich auf den Weg. Sie segelten die übliche Route, die vom heutigen Hafen ein Stück entfernt lag. Das Wasser war kabbelig, aber bereitete ihnen keine Schwierigkeiten. Haake Gerdsen stieg aus, bedankte sich und half dem Freund beim Ablegen des Bootes. Es war sehr dunkel, als das Segelboot in Nebelschwaden eintauchte und davonfuhr. Haake Gerdsen machte sich auf den Weg. Zu spät bemerkte er ihren tödlichen Irrtum. Der Bekannte hatte ihn aus Versehen auf einer Sandbank abgesetzt. Da
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