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Nebelschleier

Titel: Nebelschleier
Autoren: Gmeiner-Verlag
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nimmt des Obst immer gern!«
    Georg wusste sofort, dass die einzige ausländische Familie gemeint war, die sich im Dorf niedergelassen hatte und die mit ihren vielen Kindern und fremdartigen Gewohnheiten ein unerschöpfliches Gesprächsthema für seine Mutter war. Er stellte den Korb neben einem der Pfosten an der Straße ab, die wie ausgestorben dalag. Eine Katze schlüpfte gegenüber durch den Gartenzaun, es roch nach Mist und Silofutter, genau wie früher. Er wollte gerade zu seinem lauschigen Plätzchen im Garten zurückkehren, da störte ein wohlbekanntes Geräusch die Idylle. Seine Schwester kam aus dem Haus gerannt und auch die Mutter lief zum Hoftor, so schnell es ihr mit ihrer eingeschränkten Beweglichkeit möglich war.
    »Da wird doch nix bassiert sein!«, rief Marga atemlos und sah der blau blinkenden Karawane aus Zivilautos und Polizeiwagen nach, die mit hoher Geschwindigkeit an ihnen vorbeirauschte und dann hinter der nächsten Kurve schon wieder verschwunden war. Nur das Martinshorn war noch zu hören. Die beiden Frauen standen erwartungsvoll in der Hofeinfahrt, als ob diesem Spuk noch etwas folgen müsste.
    »Vielleicht is ja beim Steinlein sein Hotel was bassiert.«
    »Oder beim Schloss.«
    »Ja, vielleicht.«
    Unentschlossen drehten sie die Köpfe nach links und rechts. Georg wollte sich jetzt endlich der Lektüre des Coburger Blattes widmen und ging in Richtung Garten.
    »Komm, mir gucken emal, was da los is!«
    Die alte Frau schien auf Margas Aufforderung nur gewartet zu haben und setzte sich in Kittelschürze und Gartenschuhen sogleich in Bewegung.
    »Schorsch, komm doch aa mit! Da is bstimmt was bassiert!«
    »Ach nee, Marga! Ich hab Urlaub, ich muss mir das jetzt nicht antun!«
    »Komm doch e bissle mit spaziern, Georg!«
    Wenn seine Mutter sich zu dieser Aufforderung durchrang, konnte er ihr das natürlich nicht abschlagen, und so folgte er den beiden auf die Dorfstraße, die plötzlich richtig belebt wirkte. Autos fuhren an ihnen vorbei und auch zu Fuß waren ein paar Leute unterwegs, hauptsächlich ältere Männer und Frauen. Marga beschleunigte ihren Schritt. Georg blieb bei seiner Mutter, die nicht so gut zu Fuß war.
    »Grüß dich, Frau Angermüller! Is dei Sohn endlich da? Des is ach emal schön, gell?«
    Fast jeder, der sie überholte, gab einen ähnlichen Kommentar ab und seine Mutter bestätigte immer mit einem hoheitsvollen Nicken. Das ganze Dorf schien über seinen Besuch informiert zu sein.
    Sie erreichten den Schlosspark. In Höhe der Sonnenuhr hatten die Schaulustigen vorschriftswidrig ihre Wagen geparkt, und ein uniformierter Polizist versuchte, sie von dort zu verscheuchen. Schon von Weitem sah Angermüller die rot-weißen Absperrbänder die Straße versperren.
    »Mamma, da vorn kommen wir nicht weiter, glaub ich. Da ist gesperrt.«
    »Des wär ja blöd!«
    Marga, die vorausgelaufen war, kam ihnen entgegen.
    »Hier geht’s net weiter! Aber des muss in der Grotten sein. Mir versuchens ma den klein Weg da nunter.«
    Als sie sich auf dem Fußweg, der unten im Tal lief, der Felsengrotte näherten, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts einer der Herzöge zur Vervollkommnung seines romantischen Landschaftsparks hatte anlegen lassen, erwies sich Margas Vermutung als richtig. Ein Grüppchen Schaulustiger, von ein paar Uniformierten hinter der Absperrung im Zaum gehalten, reckte da schon die Hälse, um einen Blick zu erhaschen. Am Grund der Grotte, in die über bemooste Felsen ein bescheiden kleiner Wasserfall plätscherte, um sich dort zu einem Bächlein zu sammeln, bewegten sich mehrere Personen in weißen Anzügen vorsichtig hin und her.
    »Morchn, Erwin! Was is denn bassiert?«, fragte Angermüllers Mutter atemlos den Mann neben sich, als sie die Stelle erreicht hatten.
    »Morchn, Traudl! Da is einer abgstürzt.« Er machte eine dramatische Pause und deutete an der Felswand nach oben. »Des Gelänner da om is ja völlig kabutt!«
    »Aber des ham die doch grad erscht neu gmacht!«
    »Von allein is des net zerbrochn, deswechen is ja wohl auch die Kripo da! Was da wohl passiert sein mag?«
    Der aufgeregte Eifer des Sprechers war nicht zu überhören und vor Wichtigkeit traten ihm die Augen aus den Höhlen. Jetzt starrte er Angermüller mit unverhohlener Neugierde, aber wohlwollend an, seine Sprache wurde weich und schmeichelnd.
    »Des is wohl dei Sohn?«
    »Ja freilich!«
    Der Blick seiner Mutter, der in diesem Moment auf Angermüller fiel, konnte nur gleichzeitig stolz und zärtlich
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