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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss
Autoren: Markolf Hoffmann
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Bedenken gegen die Anwesenheit des Knaben äußern, doch ein kurzer Klang ließ ihn zusammenfahren.
    »Was war das?«, flüsterte er.
    »Ein Warnruf«, rief Sorturo verbittert. »Das äußere Tor ist gefallen. Die Wachen sind tot, und die Goldei haben den Hof erstürmt. Wir haben nur noch wenig Zeit!«
    In diesem Augenblick zerriss Charog die Hülle. Fauchend sprang die Quelle hindurch. Charogs Augen weiteten sich. Mit wuchtigen Gesten versuchte er sie in ihre Form zurück zu biegen, brüllte mit entschlossener Stimme: »Sie ist frei! Du musst dich beeilen!«
    Sorturo hob seine Stimme und begann die Formeln aus dem Buch zu rezitieren. Es klang wie ein düsteres Lied, dessen Worte die Sinne betäubten.
    Sie war frei. Frei, zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Noch spürte sie es kaum, merkte nicht, dass Charog ihr den Weg geebnet hatte; und sie wusste auch nicht, dass dies nur geschehen war, um das Ritual ihrer Vernichtung einzuleiten.
    »Wir haben dich benutzt, wir haben dich in diese Form gezwungen und aus dir geschöpft«, hallte Sorturos Stimme. »Nun schließen wir dich! Nimm deine Macht von uns für alle Zeiten!«
    Sie begann zu kreischen, wand sich in Schmerzen. Sorturo fuhr zu Laghanos herum. »Es ist soweit! Geh auf sie zu! Fürchte dich nicht vor ihr! Sie kann dir nichts anhaben.«
    Laghanos schluckte. Er streckte die Kerzen, die nun rote Flammen warfen, dem Herz der Quelle entgegen. Langsam setzte er Schritt vor Schritt. Dumpf seufzte der Lehm unter seinen Füßen. Die Träne des Nordens wich vor ihm zurück, begann sich zu verformen, zu verdichten.
    »All die Jahre …«, wisperte Charog, während er die Quelle in Zaum hielt. »Wie mächtig waren wir durch dich …«
    Sie zuckte im Todeskampf, während Laghanos ihr entgegen schritt. Schon tanzte ihre magische Kraft auf seiner Haut, ließ seine Haare hell aufflackern.
    »Sei tapfer! Es ist gleich vorbei«, rief Sorturo.
    Die Quelle schrumpfte. Immer dünner wurde ihre Präsenz, immer unwirklicher ihr Flehen. Zu spät hatte sie begriffen, zu spät. Nun musste sie sich schließen.
    »Für immer …«, flüsterte Charog.
    Ein wütender Schrei erklang hinter Sorturo, unverständlich, verzerrt. Ein Wurfbeil traf seine Schulter. Röchelnd sackte er nach vorn, riss das Buch mit sich.
    Vier Goldei stürmten den Raum. Ihre Mäuler waren vor Zorn aufgerissen. Zwei von ihnen stürzten sich auf Sorturo, ein weiterer auf Charog. Der vierte, eine Echse mit bronzefarbener Schuppenhaut, fegte mit kräftigen Tritten die Kerzen um und zischte ein Wort in seiner fremden Sprache.
    Als die Goldei Sorturo niederwarfen, kehrte die Macht der Quelle mit einem Schlag zurück. Laghanos wurde von ihrer Wucht durch die Luft geschleudert. Er prallte an die Wand, und die Kerzen entglitten seinen tauben Fingern. Sie erloschen. Dünne Rauchfäden schraubten sich in die Luft.
    Und die Quelle brach aus sich heraus, füllte den Raum mit ihrer Macht. Frei! Ihre Energie tobte, begleitet von den Schreien der Goldei. Risse zogen sich durch den erhärteten Lehm.
    Charog sah, wie die Goldei auf ihn zustürmten. Schon wollte er schützend die Arme heben, als er ein Knirschen neben seinem Ohr vernahm. Er wandte sich um. Für einen kurzen Moment schien es, als verharrte die Zeit. Gebannt starrte Charog in die Mitte des Raumes, wo sich nun tiefblau, schwarz, unergründlich die Wirklichkeit zerteilte.
    Dann sah er das Wesen. Es kroch aus dem Nichts wie aus weiter Ferne und schoss ihm entgegen. Fleisch gewordener Albtraum. Ein hohes, gieriges Kreischen erreichte seine Ohren. Ein Sporn bohrte sich durch seinen Hals, durch seinen Schädel, und Charog verstummte für immer.
    Ein Summen füllte den Raum. Es war der Gesang der Quelle, berstend vor Stolz über die Kreatur, die sie geboren hatte; jene Kreatur, die nun herumfuhr, besudelt von Charogs Blut, und Laghanos aus hasserfüllten Augen anstarrte.
    Laghanos schrie auf. Er versuchte sich aufzurichten, als das Wesen mit rasenden Bewegungen auf ihn zuschoss. Doch bevor es ihn erreichte, wurde Laghanos zur Seite gestoßen. Es war einer der Goldei. Seine Schuppen funkelten bronzerot. Schützend hielt er seine Klauen vor Laghanos und zischte einen wütenden Befehl. Mit einem schrillen Laut des Unverständnisses wich die Kreatur zurück. Doch noch immer starrte sie Laghanos an, und es war nichts als Mordlust in ihrem Blick.
    Der Goldei wandte sich Laghanos zu. Er musterte den Jungen für wenige Sekunden. Dann hob er die Klaue und versetzte ihm einen harten Schlag
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