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Nebelriss

Nebelriss

Titel: Nebelriss
Autoren: Markolf Hoffmann
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der Kaiser!«, rief einer der Adeligen und riss sein Glas aus funkelndem Kristall empor, in dem der Wein perlte; riss es empor zur Sonne und sah, wie das Licht sich in den kunstvollen Verzierungen brach. »Lang lebe Kaiser Akendor«, rief er und lachte aus vollem Hals. Aus Dutzenden von Kehlen erklang der gleiche Ruf, ein weintrunkenes Jubeln; und glückselig umschlang der Jungadelige seine derzeitige Geliebte, eine hübsche Gräfin mit blondem Haar.
    »Ja, lang soll er leben!«, wisperte sie und beugte sich zu ihm herab, legte ihr Gesicht auf das seine, bis ihre Wangen sich berührten.
    Er blickte sie an, ihre blonden Haare, die sein Kinn kitzelten, ihre aufblitzenden Augen. Noch immer lachte er, lachte noch, als sie ihn küsste. Er blickte auf sein leeres Glas, auf ihr Kleid aus weißer Seide, an dem der Wein herab lief, über ihre Schulter und ihre Brüste, die sie an ihn presste, ihre Arme, die ihn umschlangen. »Lang lebe der Kaiser«, wiederholte er, packte ihre Taille und warf sich über sie, spürte die Seide zwischen seinen Beinen, und durch die Seide heiß ihren Körper und sie krallte sich in seinem Rücken fest, die Musik zischend im Hintergrund, und der Wind strich über ihre erhitzte Haut.
    Vom Palast führte ein Weg aus weißen Marmorplatten zum Brunnen. Krachend schlug Binhipar seine Stiefel auf, immer wieder und wieder. Er traf die schmalen Steinplatten stets genau in der Mitte, unbewusst vielleicht; und dann klirrte die silberne Schnalle an seinem Stiefel. Binhipar war kein Baron, kein Graf aus einem niederen Geschlecht; er war kein Abkömmling einer verkommenen Sippe, die sich selbstherrlich in ihrer kaum nennenswerten Macht sonnte, keiner jener bedeutungslosen Dorfdespoten, die sich auf ihren lachhaften Burgen und Gutshäusern lümmelten und ihre eingebildeten Blicke über die ihnen zugeteilten Wiesen schweifen ließen, krachend ging der Stiefel nieder, die sich bedienen ließen von hinten bis vorn, die ihre Teller nicht mit eigener Hand fort zu schieben vermochten, die sich vom Stallknecht auf ihr Pferd heben und von der Magd die Exkremente von den Schenkeln kratzen ließen, als wäre dies ein Ausdruck von Macht und nicht von Inkontinenz …
    »Ihr seid zu schnell!«, klang hinter ihm die verärgerte Stimme Scorutars.
    … all die Landgrafen und Markgrafen, die Krön- und die Stadtbarone, die sich ihre Titel gegenseitig um die Ohren schlugen, krachend ging der Stiefel, rasselte die Schnalle, Titel, die nichts wert waren, die im Dutzend verliehen wurden, mit denen der Kaiser um sich warf, wenn er guter Laune war …
    Scorutar versuchte, ihn am Arm festzuhalten. »Nicht zu schnell, Binhipar! Ich höre schon die Musik. Wollt Ihr, dass man uns sofort erblickt?«
    … Provinzadelige, die das im Namen des Kaisers eingezogene Steuergeld auf Bällen und Jagdfesten verprassten, anstatt ihre Ländereien in Ordnung zu halten, die gähnend sämtliche Verantwortung korrupten Vögten übertrugen; schwachbrüstige Grafen, in deren Frondörfern die Bauern tun und lassen durften, was sie wollten; hirnlose Dorftyrannen, die ihren Untertanen aus Geiz und Prunksucht den letzten Bissen Brot vorenthielten, sodass der Bauer den Pflug kaum zu ziehen vermochte und die Kinder den Müttern im Leib verreckten, Vergeudung wertvoller Arbeitskraft …
    Zwischen den Zweigen tauchte der Brunnen auf. Binhipar blieb stehen. Abfällig betrachtete er die Spielleute, die Adeligen, die sich im Tanz wiegten, die Paare, die sich im Gras wälzten. Angewidert blitzten seine dunklen Augen auf. Nein, mit diesen dort hatte er nichts gemein. Binhipar war ein Fürst, einer der zehn Mitglieder des Thronrates, des Silbernen Kreises, einer der höchsten und wichtigsten Adeligen des Kaiserreiches: Binhipar Nihirdi, der Fürst von Palidon.
    Er bot eine imposante Erscheinung; groß gewachsen und breitschultrig, ein grimmiges Gesicht mit der knochigen Nase und den fleischigen Lippen; schwarz sein wildes Haar und der Bart, der ihm kunstvoll geflochten bis zur Hüfte reichte; die Augen, die sich stets vor Zorn und Wut zu verzehren schienen, sodass nur wenige es vermochten, seinem Blick lange standzuhalten.
    Ganz anders Scorutar. Er war schmächtig, sein Gesicht zierlich und schmal. Einst hatte er als ausgesprochen attraktiv gegolten, als unwiderstehlicher Liebhaber; damals, als noch Torsunt Kaiser gewesen war, als die höfische Gesellschaft noch in jeder Beziehung elitär gewesen war. Doch diese Jahre waren vorbei, und Scorutar hatte den richtigen
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