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Neandermord

Neandermord

Titel: Neandermord
Autoren: Oliver Buslau
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musste jemand sein.
    Hätte ich nur eine Taschenlampe mitgenommen.
    Ich folgte weiter dem Weg, bis sich auf der linken Seite, am Hang, eine große Einbuchtung öffnete. Ein Halbrund. Es sah aus wie ein alter Steinbruch und wurde auf der Rückseite von einem hohen Steilhang begrenzt.
    Das Bild, das sich mir im letzten Licht des Tages bot, hätte aus einem surrealistischen Film stammen können. In der Ausbuchtung, die wie eine Naturbühne wirkte, standen seltsame Dinge herum, eingekreist von den haushohen dunklen Wänden. Das Erste, was mir auffiel, war ein gigantischer Pfeil, der aus Aluminium oder Chrom zu bestehen schien. Seine Spitze zeigte senkrecht nach unten in die Erde, als habe ein Riese ihn angebracht, um auf einen vergrabenen Schatz hinzuweisen. Als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass der Pfeil in einem Felsblock steckte.
    Ein anderes Kunstwerk ähnelte den grauen Felsen, die hier überall wie Spielzeug für Gigantenkinder herumlagen. Auf den zweiten Blick hob es sich deutlich durch seine abgerundete Form und seine eigentümliche Struktur ab. Da waren Rillen in den Stein gemeißelt, und der ganze Block war durch eine tiefe Furche in zwei Hälften geteilt.
    Ein riesiges Gehirn, dachte ich. Jemand hat ein Gehirn aus Stein in den Wald gestellt!
    Und gleich neben diesem gewaltigen Denkapparat stand Krüger und sah mich an.
    Sein Hemd leuchtete. Seine Augen, von denen ich wusste, dass sie stahlblau waren und seinem Gegenüber nicht nur im Vernehmungsraum der Polizei Angst einjagen konnten, waren jetzt nichts als zwei schwarze Punkte. Trotzdem kam es mir vor, als würde ich einen Ausdruck von Erstaunen auf seinem Gesicht erkennen. Offenbar hatte er mich nicht kommen hören oder er hatte mich nicht so schnell erwartet.
    Er öffnete den Mund. »Rott…!«
    Jetzt, wusste ich, würden die typischen Bemerkungen von wegen Meisterdetektiv und die Anspielungen auf meine oft nicht gerade günstige finanzielle Lage und so weiter folgen. 
    Aber Krüger zögerte. Er starrte mich an, und ich ging langsam auf ihn zu. Als ich mich etwa auf drei Meter genähert hatte, knallte etwas im Wald, und ich glaubte in den Augenwinkeln irgendwo einen Blitz gesehen zu haben.
    Mündungsfeuer. Das war ein Schuss.
    Über mir ertönte lautes Rascheln, Äste und Steine rutschten herunter und prasselten vor der Steilwand in die Tiefe. Krüger stand immer noch da und stützte sich mit beiden Händen an dem gefurchten Felsen ab.
    Er ist angeschossen worden, dachte ich und ging noch einen Schritt auf ihn zu. Im selben Moment knallte es noch einmal.
    Der Hauptkommissar hob den Blick, dann fiel er vornüber auf das Gehirn. Ich taumelte ein Stück zurück und sah dadurch die Szene deutlicher: Krüger im hellen Hemd, über den Stein gebeugt, als wolle er es mit beiden Händen vor irgendetwas beschützen.
    Krüger, der wahrscheinlich gerade starb.
    Und irgendwo über dem Steinbruch hielt sich sein Mörder auf. Es raschelte wieder, weiter entfernt diesmal - zu weit, um die Verfolgung aufzunehmen. Wieder regnete es kurz Steine und Holz. Dann war es still im Wald.
    Ich lief zu Krüger, tastete nach seinem Puls.
    Dann zog ich mein Handy heraus und tippte den Notruf.

4. Kapitel
    Nichts anfassen. Keinen Schritt gehen. Stehen bleiben. Abwarten. Der Düssel lauschen, die unentwegt hinter dem Gehölz vor sich hin plätscherte.
    Allein im Wald bei einem Toten.
    Meine Gedanken hüpften umher. Fetzen von Bildern. Erinnerungen.
    Die erste Begegnung mit Krüger. Wie er die Treppe zu meiner Wohnung heraufkam, um mir Fragen über die Frau zu stellen, die von der Decke der Wuppertaler Stadthalle am Johannisberg in den großen Saal gestürzt war.
    Wie er mich in Remscheid beinahe eingebuchtet hätte, weil ich mit Jutta die Wohnung einer Verdächtigen durchsuchte. Illegal, versteht sich, aber trotzdem hatte mir Krüger eine Chance gegeben, den Fall zu lösen, und die Verdächtige entpuppte sich als Täterin.
    Noch ein Bild: Ein totes Kind auf einer Straße in Solingen. Niemand kannte es. Niemand vermisste es. Und als die Polizei alle Hoffnung aufgegeben hatte, das Geheimnis des Kindes jemals zu lösen, übernahm ich den Fall, und es war Krüger, der mir die nötigen Informationen besorgte. Natürlich ohne seine Kompetenzen zu überschreiten. Aber er hätte es auch lassen können.
    Ein Kloß wuchs in meinem Hals, als ich den Hauptkommissar im allerletzten Licht des Abends als schwarzen Schemen dort auf dem Felsen liegen sah. Verdammt, Krüger, dachte ich. Was ist hier
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