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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Michael Sontheimer
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zur Kommune 1, war beständig in Bewegung. Astrid Proll, deren älterer Bruder Thorwald sich mit Baader angefreundet hatte, fuhr die beiden und deren Freunde nachts durch West-Berlin. Sie brüllten aus dem Fenster: »Wir schlagen alles kaputt, wir schlagen alles kaputt!«

    Nach einer der vielen Demonstrationen murrte Baader: »Jetzt laufen wir hier durch die Gegend, und das war es dann. Das bringt doch nichts. So ändert sich nie etwas.« Er war der Protagonist der revolutionären Ungeduld und drängte auf radikale Aktionen. Einmal schlug er vor, den Turm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in die Luft zu sprengen.

    Die Idee und der Mythos, der Studenten, aber auch Schüler und Lehrlinge faszinierte, hieß Revolution. Sie bewunderten Ché Guevara, den selbstlosen Guerillero, der gefordert hatte: »Schafft ein, zwei, drei, viele Vietnams.« Und sie bewunderten Mao Zedong, dessen Rote Garden in der chinesischen Kulturrevolution alles Alte bedenkenlos abräumten. Die Radikalität der Rotgardisten in China passte gut zum Misstrauen der jungen Deutschen gegen die eigenen Eltern, die über die Nazijahre schwiegen.

    Zu diesem bedrückenden Schweigen darüber, wie es zum Holocaust kommen konnte, was die ältere Generation in der NS-Zeit und im Krieg getan hatte, kam der kleinbürgerliche Muff der Adenauerjahre. Die Eltern standen unter Generalverdacht. »Trau keinem über dreißig«, hieß die Parole. Der Verfassungsschützer Hans Josef Horchem stellte seiner Studie über »Terrorismus in Deutschland« ein Zitat von Hermann Hesse aus dessen Roman »Steppenwolf« voran. »Es gibt nun Zeiten, wo eine ganze Generation so zwischen zwei Zeiten, zwischen zwei Lebensstile hineingerät, dass ihr jede Selbstverständlichkeit, jede Sitte, jede Geborgenheit und Unschuld verloren geht.« 9

    Im Sommer 1968 waren nach einer Umfrage mehr als die Hälfte der Studenten zum Demonstrieren auf die Straße gegangen. Nahezu zwei Drittel alle Studenten und Gymnasiasten im Alter von 17 bis 25 standen dem Parteiensystem misstrauisch gegenüber; ein Drittel hing marxistischem Gedankengut an. 10 Zutiefst erschüttert wurden die Rebellen der westlichen Welt von den Bildern aus Vietnam. Der Saigoner Polizeichef, der auf offener Straße einen Vietcong mittels Kopfschuss liquidiert; das nackte, von Napalm verbrannte schreiende Mädchen; diese Bilder hatten eine Schockwirkung, die angesichts der heutigen Bildinflation des Internets nicht mehr nachvollziehbar ist. Über das Foto des vietnamesischen Mädchens sagte Birgit Hogefeld aus der dritten Generation der RAF: »Dieses Bild war für mich eine einzige Aufforderung und Verpflichtung zu handeln und den Verbrechen nicht zuzuschauen.« 11

    Vietnamesische Kinder nach einem Napalm-Angriff der mit der U.S. Army kämpfenden südvietnamesischen Luftwaffe.

    Dass die USA, die Supermacht der westlichen Welt, im Namen der Freiheit Hunderttausende vietnamesische Zivilisten auslöschte, war für die Jugend der 1960er Jahre in San Francisco, Paris oder Berlin unerträglich. Die »Kinder von Marx und Coca Cola«, wie die jungen Dissidenten genannt wurden, sympathisierten mit dem David aus dem Dschungel, dem Vietcong, der dem waffenstarrenden amerikanischen Goliath die Stirn bot.

    Als sich im Februar 1968 die radikale Linke in Berlin zum Vietnamkongress versammelte, waren nicht nur Baader und Ensslin dabei, sondern die meisten, die später mit ihnen in den Untergrund gingen, um eine Heimatfront des Krieges in Südostasien zu eröffnen. »Ohne den Vietnamkrieg«, sagte der RAF-Mann Klaus Jünschke später, »hätte es uns nicht gegeben.«

    Ende März 1968 brachen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Thorwald Proll mit einem weißen Straßenkreuzer, einem Ford Fairlaine, nach München auf, wo sich ihnen der Schauspieler Horst Söhnlein anschloss. Nachts in den Kneipen fabulierten sie davon, ein Fanal zu setzen. Das taten sie bald in Frankfurt.

    Kurz vor Ladenschluss deponierten sie im dortigen Kaufhaus Schneider und im Kaufhof jeweils zwei Brandsätze. Warenhäuser waren für sie Symbole der Konsumgesellschaft. Kurz vor Mitternacht brach das erste Feuer aus. Der vor allem durch das Löschwasser verursachte Schaden betrug laut Versicherung 673 204 Mark. Menschen wurden nicht verletzt. Schon zwei Tage später verhaftete die Polizei das Quartett. Der Freund der Frau, bei der sie übernachteten, hatte sie offenbar bei der Polizei angezeigt.

    Während die Brandstifter in Untersuchungshaft saßen, sorgte ein
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