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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Michael Sontheimer
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solle, »die Angeklagten von weiteren Straftaten abzuschrecken«, irrte sich das Gericht gründlich.

    Während die Brandstifter sich im Zuchthaus langweilten, besetzten in München Studenten das Institut für Zeitungswissenschaften, um gegen den Vietnamkrieg zu protestieren. Eine zwanzig Jahre alte Aktivistin erhielt dafür einen Strafbefehl wegen »erschwerten Hausfriedensbruchs«. In einem Bericht der Familienfürsorge heißt es: »M. tut der Vorfall leid. Sie hat sich vorgenommen, dass derartiges nicht mehr vorkommen sollte.« 17 Brigitte Mohnhaupt blieb allerdings ihrem Vorsatz nicht treu. Sie schloss sich zwei Jahre später der RAF an und übernahm im Frühjahr 1977 die Führung der zweiten Generation der Gruppe.

    Mitte Juni 1969, nachdem die Brandstifter schon 14 Monate hinter Gittern verbracht hatten, erwirkte ihr Anwalt Horst Mahler für sie Haftverschonung. Als sie die wiedergewonnene Freiheit in Frankfurt auf einer Party feierten, setzten sich Baader, Ensslin und andere einen Schuss Opiumtinktur und infizierten sich prompt mit der unheilbaren Hepatitis C.

    Die Studentenbewegung hatte da ihren Zenit bereits überschritten und zerfiel in kleine Politsekten, die das Proletariat missionieren wollten. Baader, Ensslin und die beiden Proll-Geschwister schlossen sich lieber der Heimkampagne der Frankfurter »Lederjackenfraktion« des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes an. Sie wollten die autoritären geschlossenen Erziehungsheime abschaffen.

    Ein für die Rebellen entscheidender Denker war der aus Nazi-Deutschland in die USA geflüchtete jüdische Emigrant und Marxist Herbert Marcuse, auf den sich Baader vor Gericht berufen hatte. Da die Arbeiter im Spätkapitalismus, so Marcuses These, durch Konsum und Manipulation der Massenmedien befriedet und integriert waren, könnten nur die Jugend und gesellschaftliche Randgruppen die Rolle der revolutionären Avantgarde übernehmen.

    Die Brandstifter sammelten Geld für die Heimzöglinge, besorgten Lehrstellen für sie, waren rund um die Uhr für die Jugendlichen da. Ulrike Meinhof tauchte wieder auf und machte Rundfunksendungen über die erfolgreiche »Heimkampagne«. Einer der vielen aus Heimen ausgebrochenen Jugendlichen, der nach Frankfurt kam, hieß Peter-Jürgen Boock. Acht Jahre später wurde er zu einer Führungsfigur der zweiten Generation der RAF.

    Gudrun Ensslin und Andreas Baader in Paris, Dezember 1969.

    Im November 1969 lehnte der Bundesgerichtshof die Revision gegen das Kaufhausbrandstifter-Urteil ab. Die Verurteilten fürchteten, dass sie bald wieder ins Gefängnis müssten. Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Thorwald Proll gingen über die grüne Grenze nach Frankreich und wurden von französischen Genossen nach Paris gebracht. Obwohl sie noch nicht auf der Fahndungsliste standen, ließen sie in Amsterdam verfälschte Papiere besorgen. Sie waren der Romantik der Illegalität verfallen.

    In Paris kauften sie sich auf einem Flohmarkt schwarze Lederjacken, tranken abends in den Cafés weißen Rum und Absinth. Sie hörten Janis Joplin und warteten auf ein Auto und auf Geld. Zuletzt logierten sie in der Wohnung von Régis Debray. Der war auf dem Weg zu Ché Guevara in den bolivianischen Dschungel gefasst worden und saß in Bolivien im Gefängnis. Später wurde Debray ein enger Berater von Präsident François Mitterrand.

    Astrid Proll kam mit ihrem weißen Mercedes 220 SE nach Paris. Zusammen mit dem flüchtigen Paar fuhr sie zuerst nach Zürich, dann nach Mailand. Ihren Bruder Thorwald ließen sie in Paris zurück. In Rom lebten sie in der Wohnung des Autoren Peter O. Chotjewitz. Die Schriftstellerin Luise Rinser war von Ensslin begeistert. »Sie hat in mir eine Freundin fürs Leben gefunden«, schrieb sie an deren Vater. Der Komponist Hans Werner Henze lud das Paar in seine Villa ein. Nach einem Ausflug nach Sorrent und Sizilien, nach LSD-Trips und Langeweile, bekam das Paar in Rom Besuch aus der Heimat. Der Rechtsanwalt Horst Mahler schlug ihnen vor, nach Berlin zurückzukehren. Dort sei eine Stadtguerilla-Gruppe im Aufbau, berichtet der Anwalt.

    Baader, der ängstlich und paranoide war, überlegte lange, in welchem Hemd er über die Grenze gehen solle, doch Anfang des Jahres 1970 tauchte er zusammen mit Gudrun Ensslin wieder in West-Berlin auf. Das Paar zog bei Ulrike Meinhof ein, die nach ihrer Scheidung ebenfalls in der Mauerstadt lebte. Sie war frustriert darüber, dass sie als Journalistin wenig erreichte. Sie hatte den Übergang »vom
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