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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Michael Sontheimer
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Rechtsextremist für die weitere Radikalisierung der jungen Linken. Am 11. April 1968 fuhr der Hilfsarbeiter Josef Bachmann von München nach West-Berlin. Er suchte Rudi Dutschke, den charismatischen Kopf der Bewegung, und traf ihn auf dem Kurfürstendamm vor dem SDS-Zentrum. »Du dreckiges Kommunistenschwein«, rief Bachmann, bevor er dreimal auf Dutschke schoss. In Ost-Berlin dichtete Wolf Biermann daraufhin ein Lied mit dem Titel »Drei Kugeln auf Rudi Dutschke, ein blutiges Attentat«. Darin heißt es: »Die Kugel Nummer Eins kam aus Springers Zeitungswald.« Das Fazit der bitteren Moritat des späteren Chef-Kulturkorrespondenten des Springer-Blattes »Welt«: »Wenn wir uns jetzt nicht wehren, wirst du der Nächste sein.«

    Am Abend des Mordanschlags, den Dutschke nur knapp überlebte, zogen über tausend Demonstranten zum Springer-Hochhaus in der Kochstraße - die dort heute Rudi-Dutschke-Straße heißt. Mit dabei war auch die Hamburger Journalistin Ulrike Meinhof, Kolumnistin des linken Monatsmagazins »Konkret«. Sie ließ sich dazu überreden, ihr Auto für eine Barrikade zur Verfügung zu stellen.

    Rund 20 000 Polizisten wurden in der gesamten Republik aufgeboten, um die »Osterunruhen« niederzuschlagen. In 27 Städten versuchten wütende Demonstranten, die Auslieferung der Springer-Zeitungen zu verhindern. Es kam zu den schwersten Straßenschlachten seit der Gründung der Bundesrepublik. Gegen 827 Demonstranten wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. 12 In München kamen unter bis heute nicht geklärten Umständen bei einer Demonstration beim Redaktionssitz und der Druckerei des Springer-Verlags ein Student und ein Fotograf durch Steinwürfe ums Leben.

    Im Oktober 1969 eröffnete das Landgericht Frankfurt die Hauptverhandlung gegen die vier Kaufhausbrandstifter. Als Verteidiger reisten zwei brillante junge Anwälte aus Berlin an. Horst Mahler, der mit Christian Ströbele und Klaus Eschen das »Erste Sozialistische Anwaltskollektiv« begründet und schon etliche Studenten und Kommunarden verteidigt hatte, und Otto Schily.

    Der Prozess war noch nicht von der bitteren Konfrontation geprägt, die später die Verhandlungen gegen RAF-Mitglieder bestimmen sollte. Zwei der Brandstifter traten in Häftlingskleidung an und steckten sich auf der Anklagebank dicke Zigarren an, eine Hommage an den Havannas rauchenden Ché Guevara. Sie inszenierten ein Happening. Der Schriftsteller und vormalige Gefährte von Gudrun Ensslin, Bernward Vesper, überreichte ihr vor seiner Zeugenaussage eine rote Rose. Der gerade aus Frankreich ausgewiesene Dany Cohn-Bendit hielt von den Zuschauerbänken aus ungefragt eine Rede und wurde in Ordnungshaft genommen.

    Am Rande des Prozesses lernte Gudrun Ensslin Ulrike Meinhof kennen. Die Journalistin besuchte die Brandstifterin im Gefängnis und war sofort fasziniert von ihr. Sie weigerte sich allerdings, über ihre Gespräche mit Ensslin und Baader zu schreiben. »Wenn ich das tue«, sagt sie, »kommen die nie aus dem Gefängnis.« Gudrun Ensslin schrieb ihrem ehemaligen Lebensgefährten Bernward Vesper: »Was dem europäischen Kampf um den Sozialismus seit 100 Jahren fehlt, ist doch das ›wahnsinnige‹ Element.« 13

    Studentin Brigitte Mohnhaupt in Münchner Kommune, um 1970.

    Vor Gericht erklärt Ensslin, sie hätten keine Menschen gefährden wollen. »Wir taten es«, sagt sie, »aus Protest gegen die Gleichgültigkeit, mit der die Menschen dem Völkermord in Vietnam zusehen.« Und: »Ich interessiere mich nicht für ein paar verbrannte Schaumstoffmatratzen, ich rede von verbrannten Kindern in Vietnam.« 14 Schließlich verkündet sie noch, ganz im Geiste Martin Luthers: »Wir haben gelernt, dass Reden ohne Handeln Unrecht ist.« Andreas Baader zitierte den Philosophen Herbert Marcuse, »dass es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein ›Naturrecht‹ auf Widerstand gibt«. 15 Das Gericht allerdings billigte den Angeklagten nicht das Recht zu, aus Protest gegen einen Krieg in Südostasien in Frankfurt Kaufhäuser anzuzünden. Ende Oktober 1968 verurteilte es die vier wegen »menschengefährdender Brandstiftung« zu drei Jahren Zuchthaus.

    In dem Urteil findet sich der vorausschauende Satz: »Die Vorstellung, vom Boden der Bundesrepublik aus mittels inländischem Terror gegen inländische Rechtsgüter auf die Beendigung des Krieges in Vietnam einwirken zu können, ist unrealistisch.« 16 Mit dem Argument aber, dass die »längere Freiheitsstrafe« dazu dienen
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