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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Michael Sontheimer
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den Bach runter.« 7

    Kriminalbeamter und Stasi-Spitzel Karl-Heinz Kurras auf dem Schießplatz, um 1965.

    Die Stasi-Offiziere hielten es für unvermeidlich, sich von ihrem nun in der Öffentlichkeit exponierten Spion Kurras zu trennen. Nachdem die West-Berliner Kripo ihn vom Staatsschutz in eine Abteilung versetzt hatte, in der er nach gestohlenen Autos fahndete, blieb er bis zur Pensionierung Polizeibeamter.

    Das Foto vom 2. Juni 1967, das zur Ikone wurde, zeigt die Studentin Friederike Dollinger, wie sie neben dem tödlich verwundeten Ohnesorg kauert. »Ich dachte, ich schau dem Faschismus ins Gesicht«, resümierte sie später dieses Erlebnis. Und das habe sie »in eine mir eigentlich fremde Radikalität« getrieben. »Der Sound dieser Jahre«, sagt der Berliner Verleger Klaus Wagenbach, »war die Wut auf den Staat.«

    Der Schuss auf Benno Ohnesorg war ein Schuss in viele Köpfe. Er war die Initialzündung für die Studentenbewegung, die das Ende des besinnungslosen Aufbaus der westdeutschen Republik aus den Trümmern Nazideutschlands markierte. Gleichzeitig begann am 2. Juni 1967 die Eskalation zwischen Studenten und der Staatsgewalt, die den Alptraum des Terrorismus hervorbrachte.

    Kurz nach dem Tod Ohnesorgs traf sich Gudrun Ensslin mit Gleichgesinnten, um eine Aktion gegen den Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz zu planen, der für den Polizeieinsatz am 2. Juni 1967 politisch verantwortlich war. Sie bemalten weiße T-Shirts mit einzelnen Buchstaben. Zusammengesetzt ergab das vorne ALBERTZ! hinten ABTRETEN. Ensslin trug das Hemd mit dem Ausrufungszeichen; Bilder der Aktion auf dem Kurfürstendamm wurden auch von der »Tagesschau« ausgestrahlt.

    Doch was wesentlich wichtiger war: Bei einem Treffen dieser »Buchstabenballett«-Aktivisten lernte Ensslin einen Mann kennen, der sich bislang vorwiegend in Künstlerkneipen und Schwulenbars herumgetrieben hatte. Er war vier Jahre zuvor aus München in die Mauerstadt gekommen, war aber am 2. Juni nicht in Berlin gewesen, weil er in Bayern eine Haftstrafe wegen Fahrens ohne Führerschein absitzen musste. Er hieß Andreas Baader. Obwohl beide in festen Beziehungen lebten und jeweils kleine Kinder hatten, knisterte es sofort zwischen ihnen. 8

    Ensslin, das vierte von sieben Kindern eines protestantischen Pfarrers von der Schwäbischen Alb, war 1964 nach West-Berlin gekommen. Ein Jahr später arbeitete sie für eine von Günter Grass gegründete Initiative zur Unterstützung des Wahlkampfes der SPD. Als die Sozialdemokraten sich aber im November 1966 mit der CDU auf die Große Koalition unter Führung des ehemaligen NSDAP-Parteigenossen Kurt Georg Kiesinger einließen, wandte die Studentin sich von der SPD ab.

    Ensslin war eine hochkarätige Intellektuelle. Wenn sie eine Sache für richtig erkannt hatte, setzte sie sich bedingungslos für sie ein. Eine Gefängnisdirektorin bewunderte sie, »weil sie so absolut ist, notfalls mit dem Leben für ihre Überzeugung eintritt«. Ein Gerichtspsychiater attestierte ihr »eine heroische Ungeduld«.

    Baader war drei Jahre jünger als Ensslin, dunkelhaarig, körperlich präsent und ebenso unverschämt wie charmant. Da sein Vater, ein promovierter Historiker, kurz nach Kriegsende umgekommen war, wuchs er bei der Mutter und Großmutter auf, die ihn vergötterten. Er motzte und provozierte unentwegt. Baader war direkt und vulgär und konnte sich stundenlang in Monologen ergehen. Klaus Wagenbach erinnerte er an »einen kleinen Luden«; die meisten Männer konnten ihn schwer ertragen. »Doch bei Frauen«, so ein ehemaliger RAF-Mann, »hatte er einen Stich.«

    Baader ging nicht arbeiten, hatte nie Geld und ließ sich aushalten. Statt Bus fuhr er Taxi. Um sich wichtig zu machen, erzählte er gerne Lügengeschichten, etwa, dass er mit 16 als Hochbegabter das Abitur gemacht habe. Der Künstlerin, mit der er zusammenlebte, bevor er Gudrun Ensslin traf, prophezeite er: »Eines Tages wirst du mich auf dem Cover des SPIEGEL sehen.«

    »Gudrun und Andreas«, erinnert sich deren einstige Freundin Astrid Proll, »ergänzten sich genial.« Die beiden waren ein Paar, das Himmel und Hölle in Bewegung setzen konnte; sie bildeten später die Doppelspitze der RAF. Sie trafen sich mit Künstlern in einer Kneipe namens »S-Bahn-Quelle« und tanzten zu Rock’n’ Roll aus der Musicbox. Ensslin blühte auf an der Seite von Baader.

    Die dramatischen Ereignisse des 2. Juni 1967 hatten auch Bohemiens wie Baader politisiert. Er suchte Kontakt
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