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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Autoren: Michael Sontheimer
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Pass von Meinhof. Als Horst Mahler und Gudrun Ensslin am nächsten Abend vorbeikamen, um die Hinterlassenschaften abzuholen, mussten sie mit leeren Händen wieder abziehen.

    Ulrike Meinhof war einen Tag lang verschwunden. Als sie wieder zur Gruppe stieß, trug sie eine blonde Perücke und wirkte verstört. An den Litfaßsäulen prangten Fahndungsplakate mit großen Fotos von ihr: »Mordversuch in Berlin, 10 000 DM Belohnung.« Die Journalistin sah keinen Weg zurück ins bürgerliche Leben. Ein ehemaliger RAF-Mann erinnert sich: »Wir waren irre sauer auf Ulrike.« Die prominente Journalistin musste jetzt versteckt werden, doch es gab noch keine konspirativen Wohnungen. Zudem galt es, Meinhofs Kinder zu versorgen. Sie selbst litt sehr darunter, dass sie die sieben Jahre alten Zwillingstöchter nicht mehr sehen konnte.

    Ein paar Tage nach der Aktion suchten zwei Abgesandte der Gruppe die Redaktion des Berliner Anarchistenblattes »Agit 883« in Kreuzberg auf. Manfred Grashof und Petra Schelm hatten einen von Ulrike Meinhof verfassten Text dabei, doch dessen Abdruck lehnten die Redakteure zunächst ab, allen voran Dirk Schneider, später Bundestagsabgeordneter der Grünen und bezahlter Stasi-Spitzel. Nach langer, zäher Diskussion sagten die »883«-Macher doch zu, die erste Erklärung der Gruppe zu dokumentieren. »Die Baader-Befreiungs-Aktion«, hieß es darin, »haben wir nicht den intellektuellen Schwätzern, den Hosenscheißern den Alles-besser-Wissern zu erklären, sondern den potentiell revolutionären Teilen des Volkes.« Der Text endete mit dem Aufruf: »Die Klassenkämpfe entfalten! Das Proletariat organisieren! Mit dem bewaffneten Widerstand beginnen! Die Rote Armee aufbauen!« 5

    Die linke Szene in der Bundesrepublik und West-Berlin war von der Aktion nicht angetan. Einen Menschen anzuschießen und lebensgefährlich zu verletzen, das stand für die meisten in keinem Verhältnis zur Befreiung des wenig bekannten Baader. Doch die RAF hatte ihr Leitmotiv der nächsten sieben Jahre gefunden: Bis zum Herbst 1977 sollte es ein ums andere Mal darum gehen, Andreas Baader aus dem Gefängnis zu holen.

    Die Fixierung und der Hass der RAF auf die Staatsgewalt waren auch schon in der ersten Aktion angelegt. Auf einem von Ulrike Meinhof besprochenen Tonband ließ sich hören: »Wir sagen, natürlich, die Bullen sind Schweine, wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, und es ist falsch, mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden.« 6

    Der brutale Jargon von Ulrike Meinhof kam nicht von ungefähr: Die Schüsse in der Miquelstraße waren nicht die ersten gewesen in dem eskalierenden Konflikt zwischen Linksradikalen und der Staatsgewalt. Den ersten tödlichen Schuss hatte knapp drei Jahre zuvor ein West-Berliner Polizeibeamter und Agent der DDR-Staatssicherheit abgefeuert.

Kapitel 2

    High sein, frei sein …

    Die Stimmung schwankte zwischen Wut und Verzweiflung. Am Abend des 2. Juni 1967 hatten sich im Zentrum des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am Kurfürstendamm Dutzende junger West-Berliner versammelt. Unter den Studenten, die über die dramatischen Ereignisse des Tages sprachen, war auch eine 26 Jahre alte Doktorandin der Germanistik. »Mit denen kann man nicht diskutieren«, rief Gudrun Ensslin mit kreidebleichem Gesicht in die Runde. »Das ist die Generation von Auschwitz! Sie werden uns alle ermorden!« 1

    Die schwäbische Pfarrerstochter schlug vor, eine Polizeikaserne zu stürmen, um sich zu bewaffnen. Wie ein »Todesengel« erschien sie einem besonnenen Studenten. Sie alle hatten zuvor miterlebt, wie Polizisten Dutzende von Demonstranten blutig schlugen, die vor der Deutschen Oper gegen den iranischen Diktator Schah Mohammed Resa Pahlewi protestierten.

    Ensslins militante Idee stieß auf Ablehnung, doch ihr Wort von der »Generation von Auschwitz« hallte nach. Immer wieder stießen die Studenten auf Verbindungslinien zwischen Nazideutschland und der Bundesrepublik. So fanden sie heraus, dass die Planung für den brutalen Polizeieinsatz am Abend des 2. Juni 1967 dem Kommandeur der West-Berliner Schutzpolizei Hans-Ulrich Werner unterlag. Das vormalige NSDAP-Mitglied hatte sein Handwerk im Zweiten Weltkrieg bei der »Bandenbekämpfung« in der Ukraine und in Italien gelernt. Der Reichsführer SS Heinrich Himmler hatte ihn für seinen Beitrag zum
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