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Natascha

Natascha

Titel: Natascha
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auf dem Weg nach Moskau. Die Bitte um politisches Asyl, vor drei Wochen gestellt, war ihm bekannt. Damals kam die große Tschugunowa mit einem Opernensemble der Moskauer Oper nach Paris, um ein Gastspiel zu geben. Was dann geschah, davon berichtete die Weltpresse in ganzseitigen Schlagzeilen. Nun, nach drei Wochen, trat sie wieder auf … als Star der Pariser Oper. Natascha Tschugunowa als ›Aida‹ … der erste Opernabend außerhalb des russischen Ensembles.
    »Krank scheint die Primadonna nicht zu sein«, sagte der französische Ministerialrat und lächelte mokant. »Im Augenblick singt sie. Soll ich das Radio anstellen? Sie können es mit anhören. So singt keine Kranke.«
    »Aber wir bestehen darauf …« Alexei Galjanow trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Unglücklich war er, man sah's ihm an, aber er mußte ausführen, was der Botschafter befahl. Und auch er wurde ja von Moskau angewiesen. »Sie haben die Tschugunowa zurück nach Moskau zu bringen!« lautete der Befehl. Weiter nichts. Nur wer ein Russe ist, weiß, was ein Befehl aus Moskau bedeutet. Er kann Glückseligkeit und Tod bedeuten, und man hat beides in einer Hand.
    »Frau Tschugunowa will in Europa bleiben. Ist das ein Verbrechen?« fragte der Franzose. Galjanow sah auf seine Fingerspitzen.
    »Es widerspricht unserer gesellschaftlichen Moral. Sie könnten uns entgegenkommen, indem Sie Frau Tschugunowa weder einen Ausländerpaß noch eine Aufenthaltsgenehmigung geben. Sie könnten sie zum Beispiel ausweisen …«
    »Aber warum denn?«
    »Als lästige Ausländerin –«
    »Natascha Tschugunowa ist eine der besten Sopranistinnen der Welt. So etwas ist nicht lästig, sondern eine Ehre, im Lande zu haben.«
    Alexei Igorowitsch Galjanow legte die Fingerspitzen aneinander.
    »Wir mißverstehen uns«, sagte er langsam. »Natascha Tschugunowa ist nicht bloß eine Sängerin … sie ist ein Politikum. Wenn die französische Regierung ihr Asyl gewährt, muß meine Regierung das als einen unfreundlichen Akt betrachten, der die Beziehungen unserer Länder trübt.«
    »Das ist bedauerlich.« Der Franzose klappte die überreichte Protestnote zu. Es war eine endgültige Bewegung, und Galjanow verstand sie sofort. »Wir können nicht einsehen – und es widerspricht auch aller Moral –, daß Menschenfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft ein unfreundlicher Akt sein sollen. Ein jeder Mensch hat nach unseren Ansichten das Recht, sich frei dort zu bewegen, wo er es wünscht. Das Prinzip von Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit ist unser nationales Heiligtum! Unter diesem Aspekt genießt Frau Tschugunowa die Gastfreundschaft unseres Landes. Sie hat es gewünscht … und wir sind glücklich, sie ihr zu gewähren …«
    »Es ist bedauerlich.« Alexei Galjanow erhob sich steif. Er verbeugte sich und verließ mit gesenktem Kopf den Quai d'Orsay. Er hatte eigentlich nichts anderes erwartet, ebensowenig wie der Botschafter. Aber der Befehl aus Moskau lag entschlüsselt im Safe der russischen Botschaft, und es war schwer, im Kreml zu überzeugen, daß eine Frau, der man die höchsten sowjetischen Ehrungen verliehen hatte, aus ihrem Lande flüchtete und ihren russischen Paß zerriß.
    Und dann war noch dieser Luka da. Alexei Galjanow hatte ihn nicht erwähnt. Auch in der Protestschrift stand nicht sein Name. Luka ließ man aus dem Spiel. Er war die letzte und einzige Möglichkeit, Natascha Tschugunowa nach Moskau zurückzubekommen. Der Lebenslauf Nataschas und Lukas war nach Paris an die Botschaft gefunkt worden. Eins wußte man daraufhin genau: Wo Luka war, würde auch Natascha sein. Und um Luka würde sich jetzt alles drehen. Das wußte Galjanow. Ein Luka im Keller der sowjetischen Botschaft bedeutete das Vorfahren der Natascha Tschugunowa zur freiwilligen Rückkehr.
    »Sofort zur Botschaft!« sagte Alexei Igorowitsch Galjanow zu dem Fahrer seines schwarzen Wagens. »Es muß mit dem Ende der Oper alles vorbei sein –«
    Die große Nilarie der Aida klang über 1.500 Menschen hinweg, und es war ihnen, als seien sie selbst die Sklaven und träumten von den fernen Ufern.
    Natascha Tschugunowa sang sie mit geschlossenen Augen. Sie brauchte keinen Dirigentenwink, keine Einsatzzeichen, keine Tempischläge. Sie sang ganz von innen heraus dieses Lied der Sehnsucht und des Abschieds, und es stimmte alles, weil sie selbst nichts mehr war als eine Heimatlose, als ein kleiner Mensch in einer für sie leeren Welt.
    O Vaterland, ich seh dich nimmerdar! Azurne Bläue, o
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