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Natascha

Natascha

Titel: Natascha
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ist's, was in der Brust so weh tut. Nie mehr zurück nach Rußland. Ein ganzes Leben lang nicht. Kann man's überhaupt ertragen? Aber Natascha will es so … und wenn sie es will, hat ein Luka mitzugehen. »Laß sie nie allein, Luka«, hatte Fedja Iwanowitsch Astachow einmal gesagt. Wie lange war's her? Ja, genau dreiundzwanzig Jahre … Himmel, die Jahre jagen dahin wie Wolken im Frühjahrssturm. Aber vergessen hatte er's nicht, der Luka, was der Fedja ihm anvertraute. »Laß sie nie allein, meine Natascha …«
    Und Luka schwieg. Er sah über die Menge der Reporter, hob plötzlich die riesige Hand und ließ sie durch die Luft sausen. Es zischte, als koche ein Wasserkessel über.
    »Geht!« sagte er rauh. »Schreibt, was ihr wollt! Ich sage nichts mehr!«
    »Aber Manager!« Ein amerikanischer Journalist drängte sich vor. »Sie haben die Story des Jahres in der Tasche und sitzen drauf. Das ist unfair. Oder soll's was kosten? Darüber läßt sich sprechen.«
    »Einverstanden!« rief ein anderer aus der Menge. »Und vor allem eins: Wie kommt der Opernstar Natascha Tschugunowa zu einem Urwelttier wie Sie, Luka? Wer sind Sie, Luka?«
    »Ihr Schatten!« sagte Luka laut. »Wenn sie keinen Schatten mehr hat, wird auch sie nicht mehr sein … Versteht ihr's?«
    »Sind wir blöd?« Der Amerikaner lachte. »Und nun 'raus mit der Story! Wer ist Natascha Tschugunowa wirklich? Wer sind Sie? Wir kennen sie nur als die Primadonna der Oper. Aber was war sie früher? Wo kommt sie her? Warum hat sie Rußland verlassen und ist in die freie Welt geflüchtet?«
    Luka schwieg. Er setzte sich auf einen Stuhl und kratzte sich die Haare auf der Brust. Wie schön ist eine Blätterhütte im Wald, wenn die Sommersonne den Boden dampfen läßt, dachte er. In den Hintern sollte man sie alle treten, alle hier. Auch die Schreibmaschinenweiber. Was geht sie unser Leben an? Verstehen sie's überhaupt? Wer kann uns überhaupt verstehen, wenn er nicht unter dem weiten Himmel Rußlands geboren ist und gelebt hat?
    »Geht 'raus!« sagte er laut. »Alle 'raus! Ihr versteht es doch nicht –«
    »Was verstehen wir nicht?« hakte der Amerikaner ein.
    »Uns –«
    »Den Bolschewismus? Chruschtschow?«
    »Uns, Genossen!« Luka winkte ab. »Warum Bolschewismus und Chruschtschow?«
    »Aber Sie sind doch Russe –«, rief der Amerikaner.
    Luka nickte und sah ihn groß an. »Aber wir sind doch auch Menschen … Freundchen, nicht wahr …«, sagte er, und er sagte es auf russisch.
    Und alle verstanden ihn sogar.
    Während die Aufführung der ›Aida‹ in vollem Gange war, wurde sie außerhalb der Großen Oper Paris zu einem peinlichen politischen Zwischenfall. Von der sowjetischen Botschaft erschien ein Botschaftsrat mit zwei anderen Botschaftsangestellten im Quai d'Orsay , dem Sitz des französischen Außenministeriums. Sie legten einen schriftlichen Protest der UdSSR vor und erhärteten ihn dadurch, daß sie persönlich auf eine Antwort warten wollten.
    Da der Außenminister nicht anwesend war, übernahm ein Ministerialrat die unliebsame Angelegenheit.
    »Ihren Protest verstehe ich nicht«, sagte er zu dem Russen und überflog mehr aus Höflichkeit die Zeilen des Schreibens. »Frau Natascha Tschugunowa ist doch ein freier Mensch, der tun und lassen kann, was er will. Oder nicht? Sie kann sich ihren Wohnsitz suchen, wo sie will.«
    Botschaftsrat Alexei Igorowitsch Galjanow räusperte sich. Erwartet hatte man solche westliche Ansicht von Staatsbürgertreue. Es war sinnlos, die Maximen eines Sowjetbürgers zu erklären … man wollte sie nicht verstehen, und außerdem war ein solcher Fall wie der der Natascha Tschugunowa viel zu willkommen für die westliche Propaganda, als daß man ihn bereitwillig wieder aus der Hand gab.
    »Frau Tschugunowa ist sowjetische Staatsangehörige, Stalinpreisträgerin, Heldin der Nation, Trägerin des Leninordens … eine solche Frau verzichtet nicht einfach auf ihr Vaterland und bittet um Asyl in Frankreich! Entweder ist sie krank … dann beantrage ich hiermit die Vorführung vor eine sowjetische Ärztekommission, oder man hat sie gezwungen, wodurch, wissen wir nicht. Dann verlangen wir eine klare Untersuchung und ein Verhör von Frau Tschugunowa in der sowjetischen Botschaft!«
    Der französische Ministerialrat nickte mehrmals. Wie erwartet, dachte er. Bei beiden Möglichkeiten würde Natascha Tschugunowa die Botschaft nicht mehr verlassen, und es würde später heißen, sie habe es sich anders überlegt und sei bereits zurück
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