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Natascha

Natascha

Titel: Natascha
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wasser doch, weil man muß. Es gibt keinen anderen Brunnen weit und breit. So ist's, Freundchen, und man kann gar nichts daran ändern. Gar nichts!
    Die Oper ging weiter. Natascha Tschugunowa mußte wieder auf die Bühne. Bevor sie hinaustrat in die grellen Scheinwerfer und den noch immer donnernden Applaus, stieß sie mit der kleinen Faust an die Brust Lukas.
    »Geh in die Garderobe«, sagte sie. »Du schwitzt ja.«
    »Der ekelhafte Frack, mein Täubchen. Wie schön war unser selbstgemachtes Leinenjäckchen …«
    »Du mußt ihn jetzt jeden Abend tragen, wenn ich singe …«
    »Jeden …?« knirschte Luka.
    »Ja –«
    »Eine merkwürdige Freiheit ist's«, sagte er laut, »in der man noch nicht einmal ein Leinenjäckchen tragen darf …«
    Dann drehte er sich herum und ging weg. Er hinkte ein wenig, schleppte das linke Bein etwas nach, weil es ein wenig kürzer war und einige Nerven gelähmt schienen. Aber es störte nicht sonderlich. Im Gegenteil, man glaubte, es dürfe gar nicht anders sein. So schaukelte ein Riesenbär durch den Wald.
    Natascha Tschugunowa sah ihm nach. Ihr schmales Gesicht unter der hohen schwarzen Ägypterperücke zeigte ein mildes, fast liebendes Lächeln.
    »Guter alter Luka«, sagte sie leise. »Ein großes Stück Heimat bist du –«
    »Auf die Bühne!« winkte der Regisseur.
    Natascha Tschugunowa nickte. Mit einem Lächeln und über der Brust gefalteten Händen trat sie hinaus in das Scheinwerferlicht und die Ovationen einer enthusiasmierten Menge …
    In der Garderobe sah es aus wie in einem Truppenlager. Luka stieß mit dem Fuß die Tür hinter sich zu, was gar nicht zu seinem Frack paßte. Die vielen Menschen, die sich in der großen Garderobe drängten, verstummten, als sei das Licht ausgegangen. Sie sahen auf den Riesen wie auf ein urweltliches Fossil, das gleich zum Erstaunen aller eine Dressurnummer darbieten würde.
    Reporter waren's, von allen Zeitungen der Welt, und Luka hatte sie in die Garderobe bestellt. Sie hatten allerhand wissen wollen, ihr Beruf ist's nun mal, und Luka sah es ein.
    »Da ist er ja, der große Manager!« sagte jemand aus der Mitte der Wartenden. Luka senkte den Kopf, der Frackkragen knirschte.
    »'raus fliegst du, wenn du mich beleidigst!« sagte er grob. Er sprach englisch, der Riese, aber so schauderhaft, daß man Mühe hatte, es überhaupt zu begreifen. Natascha hatte es ihm in mühevoller Arbeit beigebracht, als sie selbst die Sprache erlernte. »Hundert Werst Urwald will ich fällen!« hatte Luka immer geschrien, wenn eine neue Stunde Unterricht begann. »Aber nicht das, Täubchen! Verschone mich, um aller Heiligen willen!« Aber er mußte lernen. Es half alles Jammern nichts. Mit hundert Werst Urwald fällen kann man nicht im Ausland bestehen.
    »Was wollt ihr wissen, ihr Läuse?« fragte Luka und überblickte die Reportermenge. Er sah gezückte Kugelschreiber, zwei Reiseschreibmaschinen auf den Knien zweier junger Damen und einige Mikrophone, die ihm entgegengehalten wurden wie Schlangenköpfe.
    »Alles!« antwortete jemand.
    »Alles?« Lukas Gesicht wurde ernst und verschlossen. »Warum?«
    »Weil sich die Welt dafür interessiert …«
    »Was ist die Welt?«
    »Millionen Leser unserer Zeitungen –«
    »Und weiter nichts?«
    Die Antwort Lukas verblüffte. Man war sich nicht einig, ob es ein Witz sein sollte, eine Frechheit oder ein falsch verstandenes Bonmot.
    »Wo kommt sie her?« rief eine der jungen Damen mit der Schreibmaschine auf den Knien. »Stimmt es, daß Natascha einmal eine bekannte Russin war?«
    »Sie ist's noch immer!« sagte Luka. Er schwitzte wieder. Der Frackkragen drückte ihm die Luft ab, die steife Hemdbrust hemmte ihn, richtig zu atmen.
    »Hatte sie den Stalinpreis?«
    »Ja –«
    »Warum ist sie geflüchtet …?«
    »Geflüchtet?« Luka schüttelte den Kopf. Dabei rieb der Kragenknopf an seiner Haut. Er überwand die innere Scheu vor den strafenden Worten Nataschas, griff mit beiden Händen zum Kragen und riß ihn einfach ab. Mitsamt der weißen Schleife warf er ihn in eine Ecke der Garderobe. Dann riß er sein Frackhemd auf und dehnte sich wohlig in der plötzlichen Freiheit seines Körpers. Seine dichtbehaarte Brust drang aus dem Hemd hervor. Ein Riesenaffe in einem Frack. Die Reporterinnen schluckten. Soviel Kraft überstieg ihr Vorstellungsvermögen.
    »Wer sagt da: Geflüchtet? Blödsinn ist's! Ein Gastspiel geben wir.«
    »Aber Sie kehren nicht mehr nach Moskau zurück?«
    Luka schwieg. Nie mehr zurück? dachte er. Das
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