Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Natascha

Natascha

Titel: Natascha
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
noch kein Anruf gekommen war, weder von Fjodor Pleskow noch von der TASS-Agentur, die die Demonstration gegen eine ›Clique von Staatsverrätern‹ groß melden wollte, ahnte Galjanow, daß die Aktion mißlungen war. Er schellte den Botschafter selbst aus dem Bett und berichtete, daß man mit Idioten wie Pleskow keine Politik machen könne. Er sei sofort nach Moskau zurückzuschicken.
    Dann überlegte er, wie sich die Botschaft von der Aktion distanzieren könne, und zwar glaubwürdig, selbst wenn Pleskow aus berechtigter Angst die Wahrheit erzählte und selbst um politisches Asyl bat. Immer gibt es Extremisten, dachte Galjanow. Und die russische Volksseele ist wie ein ständig kochender Kessel, der immer überläuft. Und schließlich leben gerade in Paris einige tausend Russen. Wer kann immer wissen, was sie vorhaben? Eine Botschaft ist kein Kindermädchen für Emigranten.
    Wie erwartet, rief wenig später der Polizeipräfekt an. Er erkundigte sich, wieso ein Mitglied der Botschaft in einer Terrorgruppe zu finden sei.
    Alexei Igorowitsch Galjanow war die Freundlichkeit in Person.
    »Sie meinen Fjodor Pleskow, Monsieur Präfekt? Immer dieser Fjodor Viktorowitsch! Schon längst sollte er zurück nach Moskau. Ein Sorgenkind der Botschaft ist's, gewiß!« Wie wahr ich spreche, dachte Galjanow zufrieden. Aber auch der Polizeipräfekt dachte es. »Bitte geben Sie uns einen genauen Bericht und schicken Sie uns Fjodor Viktorowitsch herüber. Wir werden dafür sorgen, daß es sich nicht wiederholt.« Auch das ist wahr, dachte Galjanow. Alles darf sich ein Diplomat leisten, nur keine öffentliche Blamage. Sehr genau ist man da im Kreml. Die Visitenkarte der Sowjetunion soll weiß sein.
    Er legte den Telefonhörer zurück und lehnte sich in dem Sessel weit nach hinten. Luka war nicht zu fassen, Natascha Tschugunowa würde im Westen bleiben. Man mußte ihn herunterschlucken, diesen harten Brocken. Auch wenn er schwer im Magen lag, man würde ihn verdauen. Die Ziele waren größer und weiter. Was tat's schon, wenn eine Verzierung von der Fassade abbröckelte. Man konnte sie flicken.
    Alexei Igorowitsch Galjanow goß sich einen Cognac ein und sah auf die Uhr. »Bald muß Fjodor Viktorowitsch kommen –«
    »O du Schwein!« brüllte Luka. »Du Hundesohn! Du tatarische Mißgeburt! Einen Fladen mach ich aus dir! Einen Rinderdreck!«
    Er stand in seinem aufgerissenen Frackhemd und mit breiter haariger Brust vor Fjodor Pleskow. Sein Gesicht war fürchterlich, als sei ein Wirbelsturm in einen Wald gebrochen und habe die Stämme umgeknickt.
    Auf den Stühlen an den Wänden saßen die anderen befrackten Männer der Gruppe Pleskow und schwiegen atemlos. Sie starrten auf diesen Riesen und schätzten sich glücklich, der Mühe enthoben zu sein, ihn lebend in die sowjetische Botschaft zu bringen. Mit Pleskow hatten sie kein Mitleid. Er war immer ein Stinkteufel gewesen, ein eingebildeter Politruk. Nun bekam er es, und sie saßen um ihn herum und sahen zu, wie einem Boxkampf im Palais des Sports.
    »Wegschleppen wolltest du mich?« brüllte Luka. »Und mein Täubchen nach Moskau bringen, was? O du Misthaufen! Du Eiterbeule!«
    Dann hob er die mächtige Hand und schlug zu. Es war still im Zimmer, weil man den Atem anhielt … Da klatschte es laut, nur einmal, und Fjodor Pleskow sauste vom Stuhl, schlug einen Salto über dem Boden, rollte dem Polizeihauptmann vor die Füße, spuckte ein paar Zähne aus und blieb dann aus Mund und Nase blutend ohnmächtig liegen. Ein Häuflein schwarzes Tuch mit einer steifen Frackbrust darunter.
    »Ich hatte Ihnen verboten, Monsieur Luka …«, sagte der Polizeihauptmann laut. Er sagte es ziemlich spät. Vorher hatte er an seine russische Mutter gedacht, die 1918 mit einem Bündel in der Hand aus Petersburg geflüchtet war.
    »Halt's Maul!« schrie Luka. Er sah auf den ohnmächtigen Pleskow, überlegte, ob er nicht die ganze Reihe der Männer, die stumm auf den Stühlen saßen, daneben legen sollte, aber dann sah er ihre zitternden Körper und spuckte aus, mitten ins Zimmer.
    »Ihr Misthunde!« sagte er nur. »Als ob ein Luka nicht mit Wanzen fertig würde –«
    Dann rannte er hinaus. Die Oper war zu Ende, im Zuschauerraum tobten die Menschen, livrierte Diener der Oper trugen riesige Blumenkörbe auf die Bühne und rahmten Natascha Tschugunowa damit ein. Blumensträuße wurden über die Rampe geworfen, einzelne Rosen, Orchideenzweige … und inmitten dieser Flut der Liebe und Anerkennung stand klein und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher