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Natascha

Natascha

Titel: Natascha
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gesicht und die fellgefütterte Mütze mit den Ohrenklappen.
    Fedja Astachow zögerte. Sinnlos war es, hier hocken zu bleiben und tatenlos zu warten. Das war klar. Niemand würde vorbeikommen und fragen: »Na Brüderchen, wie geht's? Kann ich ein wenig behilflich sein …?« Fedja kannte den Sturm und den Schnee. Er war in Uglitsch, nördlich von Moskau, geboren. Dort, wo die junge Wolga in den Rybinsker Stausee fließt. So ein Schneesturm konnte Wochen dauern. Als Kind schon hatte er nie begriffen, woher der ganze Schnee kam, der Wind, die Kälte, die Gnadenlosigkeit der Natur – und noch immer war es unbegreiflich.
    Luka stand im Sturm, den Kopf hoch wie ein witternder Wolf. Er winkte Fedja zu, als dieser aus dem schrägstehenden Wagen sprang und bis zu den Hüften in einem Schneehaufen versank.
    »Ein Haus!« schrie Luka durch den Wind.
    »Wo?« Fedja wischte sich die Augen frei und starrte um sich. Er sah nur wirbelnde Weiße, ein paar Bäume, den Beginn eines Waldes.
    »Am Wald! Ich sehe Rauch!«
    Er ist wie ein Tier, dachte Fedja Astachow. Auch die Wölfe wittern die Menschennähe und brechen aus den Wäldern. Wie gut, daß er bei mir ist, der Idiot.
    »Wie weit?« schrie Fedja durch das Heulen der Schneemassen.
    »Ein halbes Stündchen, Genosse!« brüllte Luka zurück. »Ich gehe voraus … und du folgst mir in der Spur … Ich trete dir den Weg …«
    Wie ein Rammbock senkte Luka den mächtigen Kopf. Beide Hände preßte er gegen die Brust, gegen die Mappe, die unbedingt zu Oberst Werjowkin mußte. Sein Bärenkörper mit den Säulenbeinen begann sich gegen die Schneewand zu stemmen. Wie eine stampfende Maschine trat er unter sich den Schnee weg und fest. Eine Rinne entstand, eine glatte, feste Straße von vierzig Zentimetern Breite.
    Er besiegt den Sturm und den Schnee, dachte Fedja fast ergriffen. Er stampft gegen die Natur einen Pfad in das Leben zurück. Guter Luka … man muß ein Idiot sein, um Kraft fürs Leben zu haben.
    »Es ist nicht mehr weit«, sagte Luka nach einer ganzen Weile. Er blieb stehen, ein vereistes Wesen ohne Form mehr.
    »Ich rieche schon den Rauch –«
    Fedja preßte sich an den riesigen Klumpen Wärme. Er fror, durch seinen Pelz schnitt die Kälte und klopfte gegen die Knochen.
    »Schnell weiter!« keuchte er. »Nicht stehenbleiben … Ich … ich … Luka …«
    »Wir sind gleich da, Genosse Unterleutnant!« Luka stampfte weiter. »Wir müssen langsam gehen … Nicht schwitzen, Genosse … Schwitzen ist der Tod …«
    Fedja taumelte ihm nach. Kaum sah er noch den kleinen, gestampften Pfad.
    Aber dann roch auch er etwas Brandiges, wie die Würze geräucherten Schinkens fiel es über ihn her. Und dann sah er den Rauch … eine zerflatternde dünne Säule über einem Schneeberg am Waldrand.
    »Menschen!« schrie er grell. »Menschen … Menschen …«
    Er wollte an Luka vorbeilaufen, aber der Riese hielt ihn fest.
    »Stoij, Brüderchen!« Er legte den Arm um Fedja und preßte ihn an sich. »Willst du durch das Ofenloch? Bleib stehen … hier bleibst du stehen …«
    Er ließ Fedja los und stapfte auf den Rauch zu. Zitternd, von Kälte zerfressen, von den Füßen an zuwehend, starrte der Unterleutnant auf den Riesenleib, der vor ihm durch den Sturm schwankte. Dann hörte er etwas schreien … Luka kniete am Kamin und brüllte durch den Rauch hinunter in die Tiefe der Hütte.
    »Macht auf, ihr Mißgeburten!« schrie er. »Wo ist die Tür? Hier sind zwei Soldaten der Roten Armee … ein Unterleutnant und ein Gefreiter.«
    Als der Schneesturm begann – Nikolai Igorowitsch Tschugunow merkte es frühzeitig daran, daß aus dem Nordosten eine Schar von Iltissen durch den Wald jagte und plötzlich einige graue, struppige Wölfe bei den Tierfallen, die er gelegt hatte, knurrend und hechelnd saßen und Nikolai die Beute aus der Falle wegfraßen –, als also die Wolken über den Wald trieben und dann der Himmel grundlos und grau und schließlich milchig wurde, hatten Natascha und Olga begonnen, die Fenster mit Zeitungspapierrollen abzudichten und alle Ritzen damit zu verkleben. Das ganze Jahr über hatte man jede Nummer der Prawda aufgehoben. Auch die Jugendzeitschrift Komsomolskaja Prawda, die Natascha las, lag in dicken Stapeln neben dem Lehmofen. Während Olga mit Knochenleim die Fenster verklebte, rollte Natascha das Papier zu langen, dicken Würsten.
    »Morgen wird es soweit sein!« sagte Olga Tschugunowa. Sie war fast fünfzig Jahre alt, und wer sie ansah, dachte ehrfurchtsvoll: Ein
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