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Natascha

Natascha

Titel: Natascha
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wirkliches Mütterchen! Runzeln hat sie wie eine alte Kartoffel, und weiße Haare wie ein Schimmelchen. Sie hat viel gearbeitet in ihrem Leben, und viel gesehen … den Zaren – Gott verdamm ihn! –, den großen Krieg, die schöne rote Revolution, die Kosaken, mal weiß, mal rot, aber plündern und morden und sengen und schänden taten sie alle … dann wurde es ruhig, Väterchen Nikolai Igorowitsch verlor sein Gut, denn er wurde Sozialist und gab es her für eine Kolchose; man fragte ihn nicht lange, sondern trat ihn ins Gesäß und befestigte einen roten Stern über der Haustür und sagte: Alles, was du ab jetzt erntest, gehört dem Staat, dem Volke. Du verstehst, Genosse Tschugunow?! Nikolai Igorowitsch verstand. Und er lebte weiter als Kolchose und zog seine Natascha groß. Ein herrliches Vögelchen mit langen, schwarzen Haaren, ein Engelchen gewiß, ein Täubchen, eine Augenfreude und sein Altersstolz. Das alles hatte Olga erlebt und gesehen … und Runzelchen nach Runzelchen grub das Erleben in ihr schmales Gesicht und ließ es noch mehr schrumpfen.
    Nikolai Igorowitsch hatte vorgesorgt, als der Winter wie jedes Jahr hereinbrach, plötzlich, mit Geheule, als müsse er die letzte Wärme erschrecken und aus den Winkeln jagen. Er hatte Hasen und ein paar Rehe eingesalzen, Fässer mit Kapusta standen im Stall, Kartoffeln lagerten im Stroh, drei Sack Hirse waren da, Mehl und Rübenmarmelade, Trockenfisch und zwei Seiten Speck. Das war ein Geheimnis. Davon wußte der Genosse Dorfsowjet von Krassnoje Mowona nichts. Gar nichts. Eine Sau hatte geferkelt … zwölf Stück … wer kann's kontrollieren? Und elf hatte Nikolai, der Schlaue, nur angegeben und das zwölfte weitab von der Datscha, in einem kleinen Stall mitten im Wald, großgezogen und dann mit der Axt vor den Schädel gehauen. Man nennt das Sabotage, und es kann passieren, daß man dafür nach Karaganda kommt, in die Bergwerke Kasakstans … aber Nikolai war eben schlau, und niemand hatte das Schweinchen bemerkt.
    So konnte der Winter kommen. Die Familie Tschugunow war gut versehen. Man konnte zuschneien … Wasser lieferte der Schnee, den man schmolz, im Ofen krachte das Holz, der Stall war warm durch die Tiere, und wenn die Luft auch dick wurde in der Hütte, um so wärmer war es.
    Nun schneite es schon vier Tage. Der Sturm brach Lücken in den Wald. Unter den Ästen schliefen die Wölfe und nagten vor Hunger die steinharte Rinde an. Nikolai Igorowitsch hatte endlich Zeit, in der großen Stube auf der Ofenbank sitzend, seine Netze zu flicken und eine Schreibmaschine zu reparieren, die ihm das Bezirkskomitee in Tatarssk zur Verfügung gestellt hatte. Nikolais Kolchose war so groß, daß er jeden Monat Meldungen schreiben mußte. Außerdem verfaßte er für die Bauernzeitung Selskoje Chosjaistwo interessante Artikel über Kollektivwirtschaft und Steigerung der Normen durch Rationalisierung. Das erschien in Tatarssk so wichtig, daß man ihm eine alte Schreibmaschine schickte und ihn zum Sekretär der Sowchose ›Krassnoje Mowona‹ ernannte.
    Natascha briet gerade Speck in der Pfanne – Nikolai hatte es erlaubt, denn jetzt kam niemand schnüffeln –, als der Hund den Kopf hob und knurrte. Olga Tschugunowa ließ den Rührlöffel sinken. Sie war dabei, einen Teig zu rühren. Mehlkuchen mit Speck, das hatte sich Nikolai gewünscht.
    »Still!« herrschte Olga den knurrenden Hund an. Mit einem Ruck zog Natascha die Pfanne vom Feuer und schob sie unter den Ofen in eine Höhlung des Lehmbaues. Nikolai kratzte sich den Kopf.
    »Es ist unmöglich, daß jemand kommt«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Es muß ein Wolf auf dem Dach sein!«
    Der Hund stellte sich auf. Sein Fell sträubte sich. Mit hocherhobener Nase ging er auf den Ofen zu und starrte gegen die Decke. Nikolai nickte zufrieden.
    »Seht ihr … ein Wolf! Auf dem Dach! So weit sind wir zugeschneit. Teufel, Teufel … das wird ein strenger Winter. Wie gut, daß niemand unser Schweinchen kennt …«
    In diesem Augenblick röhrte es durch den Kamin. Der Hund machte einen Satz, er fiel den Ofen an wie einen Bären, Natascha prallte zurück und rannte zur anderen Wand, wo ein geladenes Gewehr an einem dicken, langen Nagel hing. Sie riß es herunter und drückte es an die Schulter. Nikolai hob die Hand. Sein braunes Gesicht war eine stumme Frage. Wieder röhrte es im Kamin, es klang wie Worte. Olga streckte den Arm aus und schlug die Klappe auf, die zum Reinigen des Rohres gebraucht wurde. Jetzt hörte man
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