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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Weltwunder bestaunt. Seine beiden Rotorflügel wirbelten sogar den gefrorenen Schnee von den Hausdächern und hätte sie fast abgedeckt, wenn der Pilot nicht so einsichtig gewesen wäre, wieder auf Höhe zu gehen und erst außerhalb des Dorfes, in Lagernähe, zu landen.
    Es war das Feld des Bauern Tschimnoski, und der trug auf Grund der Tatsache, daß man sein Feld als Landeplatz gewählt hatte, von Stund an den Kopf so weit in den Nacken, daß es ihm in die Nase geschneit hätte, falls es geschneit hätte. Tschimnoski war auch der erste, der die gewaltige Libelle besichtigen durfte und erzählte daraufhin überall, daß der Kommandant des großen Flugkörpers ihn sogar geduzt hatte! Bis an sein seliges Ende war Tschimnoski damit aufgewertet und in Zukunft nicht mehr umzuwerfen.
    Der Hubschrauber brachte nicht nur Material, Kleidung und Verpflegung mit, sondern – wie schon per Funk angekündigt – auch die neuen Einsatzpläne. Tassburgs Befürchtungen wurden Wahrheit: Das Gebiet der neuen Bohrungen lag am Chunku. Im großen Verwaltungszelt hatte er die Karten auf Klapptischen ausgebreitet und studierte sie mit seinen Geologen.
    Draußen luden die Männer den Hubschrauber aus. Die Besatzung – ein Pilot, ein Kopilot und ein Techniker als Funker – saßen im Küchenzelt, tranken Tee und aßen eine Fleischsuppe mit Nudeln.
    Tassburg blickte hoch und musterte seine Kollegen. Seine Faust lag auf der Karte. »Wißt ihr, was das bedeutet?« fragte er. »Das Gebiet am Chunku? Schlimmste Einsamkeit …«
    Die Geologen nickten stumm. Sie dachten das gleiche wie ihr Chef: Wir sind ein verlorener Haufen. Man nennt uns Pioniere der neuen Zeit, aber in Wahrheit sind wir die ärmsten Hunde. Unsere einzige Verbindung zur Welt werden ein Hubschrauber und ein Funkgerät sein. Sonst nur waldbewachsene Hügel, Flüsse ohne Ufer und Sümpfe – die unberührte Taiga!
    »Ich werde mit der Zentrale in Omsk sprechen, ob wir nicht alle erst vor diesem Einsatz Urlaub bekommen können«, sagte Tassburg rauh. »Vier Wochen für jeden, das müßte reichen, um für ein kommendes Jahr aufzutanken.«
    »Wenn Sie das erreichen, Michail Sofronowitsch«, sagte der Chefgeologe Pribylow, »ziehe ich mit Ihnen auf einen anderen Stern, wenn's sein muß! Diese vier Wochen wären herrlich …« Er schwieg, schluckte und dachte an seine Frau und die zwei kleinen Kinder, die im fernen Swerdlowsk warteten. Er war der einzige Verheiratete – bisher wenigstens – und hatte neben seinem Feldbett das Bild seiner Frau und der Kinder stehen.
    »Ich will es durchdrücken!« Tassburg atmete tief auf. »Morgen fliege ich erst einmal nach Mutorej, um dort zu erfahren, was die Geologische Unterabteilung V von uns denkt! Wir sind Menschen und keine Maschinen … und selbst die beste Maschine geht zu Bruch, wenn man sie nicht pflegt! Das muß den Genossen einmal gesagt werden!«
    Am nächsten Tag also flog Tassburg mit dem großen Hubschrauber nach Mutorej. Natalia hatte von ihm Abschied genommen, als fliege er zu den Sternen.
    »Ich bin in zwei Tagen zurück«, sagte er und küßte sie immer wieder. »Dann wissen wir alles, Natjenka …« Als er zur Tür ging, hing sie noch an ihm, und er trug sie ein Stück mit sich fort.
    »Wenn du die Eltern siehst, Mischa …«, stammelte sie und küßte ihn immer und immer wieder. »Wenn du Väterchen und Mamuschka siehst, bitte, bitte, erschlag' sie nicht!«
    Sie weinte plötzlich und ließ sich zurücktragen und aufs Bett legen. »Sie haben mich verkauft«, schluchzte sie, »ja, das haben sie! Aber sie haben es nicht schlecht gemeint. Bei Kassugai lebt sie besser, haben sie gedacht. Ein mächtiger Mann ist er. Und wir bekommen eine Stellung in der neuen Fabrik und können auch besser leben. Alles wird besser, weil wir so ein gutes Töchterchen haben! Das haben sie gedacht – mehr nicht. Mischa, Mischa, wenn du sie siehst, erschlag' sie nicht …«
    »Ich weiß nicht, was ich tue.« Er wischte ihr die Tränen vom Gesicht. Dann fuhr er fort: »Ich weiß nur, daß ich ihnen nie sagen werde, daß ich dich kenne. Ich komme als Fremder und gehe als Fremder. Ich will nur wissen, ob du ein freier Mensch bist …«
    Wer Mutorej in seinem Leben nicht zu sehen bekommt, hat nichts verpaßt.
    Eigentlich hat niemand etwas versäumt, der die Steinige Tunguska nicht kennt, es sei denn, er könnte sich berauschen an einem wilden Fluß, an endlosen Wäldern und Hügelketten, überwuchert mit Urwald, an Einsamkeit und Stille, die nur von den
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