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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Weiberchen schwanger sind. So haben Sie im nächsten Jahr mit Geburten und Taufen allerhand zu tun …«
    »Wenigstens ein Trost, wenn auch ein schwacher!« Tigran seufzte und griff wieder nach der Flasche. »Dieser verdammte Dr. Plachunin hatte recht: Es ist an mir ein Wunder geschehen, daß ich mich noch nicht totgesoffen habe. Wenn ihr alle weg seid, wird's noch schlimmer werden!«
    »Vielleicht kommen Natalia und ich doch einmal zu Besuch nach Satowka zurück. Mit unserem Kind …«
    »Vielleicht? Nie, Michail, Sofronowitsch! Wenn Sie erst in Omsk sind und der Wechsel Ihrer Stellung hat geklappt, so werden Sie die Taiga und ihre Menschen vergessen!«
    »Das bestimmt nicht, Tigran!« Tassburg war sehr ernst geworden. »Die Taiga kann man nie vergessen. Man kann sie hassen – man kann sie lieben – man kann sie verfluchen – vergessen aber kann man sie nie! Wer einmal in der Taiga gewesen ist, hat einen Zipfel des Begreifens mitgenommen, was die Schöpfung ist!«
    »Das haben Sie schön gesagt.« Tigran wischte sich über die Augen. »Ich bin froh, wenn Sie morgen in der Luft sind. Abschiednehmen ist etwas Grauenhaftes, wenn das Herz an einem Menschen hängt.«
    So kam der nächste Morgen. Fast das ganze Dorf begleitete Natalia und Tassburg zu dem Hubschrauber, dessen Motoren schon liefen.
    Tigran Rassulowitsch war nicht dabei. Er stand in der Kirche vor seinen Heiligenbildern und betete.
    Dafür gab der Dorfsowjet den Gedanken aller Ausdruck, indem er rief: »Du wirst sehen, Genossin, in Omsk beginnt ein neues Leben für dich! Der Genosse Ingenieur wird dir dabei helfen. Und wir alle in Satowka werden an dich denken!«
    Es war fast prophetisch gesprochen, nur wußte das Petrow nicht.
    Man gab Natalia einen großen Korb mit Lebensmitteln mit, vom gesamten Dorf gestiftet, winkte ihr zu und schüttelte Tassburg die Hände, bevor auch er in dem geschlossenen Rumpf des Hubschraubers verschwand. Der Chefgeologe half ihm beim Einsteigen. Er wußte noch nicht, daß Tassburg ihn in Omsk zum neuen Leiter des Trupps vorschlagen wollte.
    »Sie werden den Urlaub für uns alle durchsetzen?« fragte Pribylow.
    »Das werde ich! Wenn unser Trupp zum Chunku geht, ein Jahr lang in die Einsamkeit, muß man uns vier Wochen Atemholen bewilligen.«
    »Und wann kommen Sie zurück?«
    »So schnell wie möglich.« Das war ein dehnbarer Begriff, aber in diesem Augenblick dachte keiner dran, Worte auszulegen.
    »Guten Flug, Genosse Michail Sofronowitsch!« rief der Chefgeologe und trat zurück.
    »Danke!«
    Die Tür klappte zu und wurde verriegelt. Tassburg sah sich nach Natalia um. Sie hockte in der hintersten Ecke und starrte ins Freie.
    »Hast du Angst?« fragte er und kam zu ihr.
    »Es ist mein erster Flug, Mischa …«
    Das Aufheulen der Motoren unterbrach ihre weiteren Worte. Ein Zittern lief durch die Maschine, dann schwebte sie empor. Natalia klammerte sich an Tassburg fest und schloß die Augen. Über ihnen drehten sich die Rotorflügel. Es war, als säßen sie im Innern einer Windmühle.
    »Blick hinaus!« rief Tassburg Natalia ins Ohr. »Das Dorf ist unter uns! Wir fliegen eine Abschiedsrunde …«
    Sie starrte in die Tiefe.
    Satowka! Und in der Umgebung die tiefverschneiten und vereisten Wälder, die Kahlschläge der Felder, die Gärtchen, die Kamine, aus denen Rauch quoll, die Häuser, klein wie aus einem Spielzeugladen – und auf den Straßen die Menschen. Punkte, die winkten …
    »Da ist die Kirche«, stammelte Natalia und drückte sich eng an Michail. Im Lärm der Motoren hörten sie nicht, wie Tigran gerade die Glocke läutete, während ihm die Tränen, dick und rund, in den mächtigen Bart rollten.
    »Und unser Haus!« rief Natalia und drückte Tassburgs Arm. »Unser verfluchtes Haus! Unser kleines Paradies … Mischa, ich war so glücklich dort unten! Werden wir woanders auch so glücklich sein?«
    »Überall, Natjenka! Denn überall, wo du bist, ist das Glück!« Er schrie es gegen den Lärm an, dann küßte er sie, und als sie wieder hinausblickten, lagen nur noch die dunklen Wälder unter ihnen, die Unendlichkeit der Taiga, in einer kalten Sonne schimmernd, als sei der Schnee mit Diamanten überstäubt.
    In der Nacht wachte Anastasia auf, weil es merkwürdig hell vor ihrem Fenster wurde. Sie sprang aus dem Bett, rannte ans Fenster und prallte mit einem Aufschrei zurück.
    Das verfluchte Haus stand in Flammen! Aus dem Dach schlugen bereits die Feuerlohen, Funkenregen stob auf; es gab keinen Teil des Hauses, der
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