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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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versammelt und ließen sich durch den Sturm, den die Drehflügel aufwirbelten mit Schnee bestäuben; auch Tigran Rassulowitsch stand im vollen Ornat in der Kirchenpforte, hielt seine Priestermütze mit beiden Händen fest und ließ den langen Bart im Winde flattern.
    Neben ihm wartete, reisefertig, Dr. Plachunin. Er hatte vor zehn Minuten noch mit Tassburg Streit gehabt und ihn einen Waschlappen genannt, weil er sich nicht gegen Natalia durchsetzen konnte.
    »Sie kommen sich stark vor!« hatte der kleine Doktor geschrien. »Sie mit Ihren Muskeln und Ihrem trainierten Gehirn! Ein Baum von einem Mann! Ein Bär! Und was sind Sie in Wirklichkeit? Ein Zwerg, der unter dem Pantoffel eines Weibchens steht! Ein Held unter dem Weiberrock! Wenn Natalia ihre Äuglein verdreht, wackeln Sie schon wie ein Pudding! Sie werden von ihr um den kleinen Finger gewickelt und sehen das noch als Liebkosung an! Sie Narr! Aber warum rege ich mich auf? Ist es mein Leben?«
    »Wir werden zum Chunku weiterziehen, Doktor!« erwiderte Tassburg rauh.
    »Dahin komme ich Ihnen unter Garantie nicht nach! Zum Chunku – mit einer schwangeren Frau! Das ist ein Verbrechen! Wissen Sie das auch?«
    »Ja.«
    »Und tun es trotzdem?«
    »Ich müßte sie erschlagen, sagt Natalia, wenn ich allein weiterziehen will …«
    »Sagt Natalia! Sagt Natalia! Sie dämlicher Papagei! Denken und reden Sie denn nur noch wie Natalia?«
    »Es scheint so, Dr. Plachunin. Ich kann es Ihnen doch nicht erklären, wie unsere Liebe ist. Vernunftsüberlegungen scheiden da vollkommen aus!«
    »Das haben Sie – bei Gott! – zur Genüge demonstriert! In einer Stunde ist jede Möglichkeit zur Hilfe vorbei!«
    »Natalia wünscht Ihnen eine gute Reise …«
    »Zu gütig! Michail Sofronowitsch, dieser Starrsinn ist Wahnsinn. Richten Sie ihr das aus.«
    Und nun war also die Stunde der Abreise gekommen. Der junge Soldat bekam in Petrows Haus noch eine warme Suppe und inzwischen bestaunte Jefim, der Idiot, den Hubschrauber so intensiv, daß Gasisulin sagte: »Da montierst du nichts ab! Es ist nichts dran, was du für deinen Garten gebrauchen kannst!«
    Und Jefim sagte immer wieder: »Welch ein Ereignis! So etwas erlebt Satowka nie wieder! Wer hätte das jemals gedacht!«
    Dieser Meinung waren auch die anderen Leute. Sie umstanden den Hubschrauber, starrten in die Glaskanzel mit den vielen Instrumenten, Uhren und Zeigern, und stellten Mutmaßungen an, warum ein Mensch nicht schwindelig wird, der in einer solchen gläsernen Glocke viele hundert Meter hoch über das Land schwebt.
    »Sie werden dafür trainiert«, erläuterte einer, der schon zweimal im Sommer zu Pferd in Batkit war. »Das dauert fast ein Jahr! Dabei werden sie an hohe Bäume mit dem Kopf nach unten gebunden, bis sie das Gefühl für Schwindel verlieren! So ist es!«
    Man glaubte es ihm ohne Kommentar und schauderte bei dem Gedanken, selbst so, nur durch eine Glasscheibe geschützt, über das Land fliegen zu müssen.
    Ja, und dann stieg Dr. Plachunin unerschrocken ein, schnallte sich neben dem jungen Piloten auf seinem Sitz fest und gab Tigran und Tassburg noch einmal die Hand.
    »Macht es gut, Freunde«, sagte er sichtlich gerührt. »Es waren schöne Tage bei euch, auch wenn ihr alle verdammte Kerle seid! Wir sehen uns wohl nie wieder.«
    »Warum solch dunkle Worte, Ostap Germanowitsch?« fragte Tassburg. »Batkit liegt nicht auf dem Mond – und selbst da kann man jetzt hin.«
    »In meinem Alter zählt ein Monat soviel wie ein Jahr, Michail Sofronowitsch.« Dr. Plachunin drückte Tassburgs Hand lange. »Viel Glück noch in Ihrem Leben und für Ihre Liebe!«
    »Danke, Doktor …«
    Bevor es noch zu mehr Rührung kam, ließ Plachunin abrupt Tassburgs Hand los und warf die Glastür zu. Er verriegelte sie von innen und winkte ein paarmal nach allen Seiten. Die Leute von Satowka winkten ebenfalls und riefen: »Gute Fahrt!« Dann heulte der Motor auf und die Rotorflügel drehten sich langsam.
    »Zurück!« brüllte Tigran in die aufgeregte Menge. »Oder wollt ihr wie Spreu durch die Luft fliegen? Zurück, sage ich!«
    Die Flügel drehten sich immer schneller, Schnee wirbelte auf und überschüttete die Leute, und – wie von Zauberhand gehoben – stieg der Hubschrauber kerzengerade in die Luft, kippte dann etwas nach vorn, um einen weiten Bogen zu fliegen und Dr. Plachunin Gelegenheit zu geben, ganz Satowka aus der Luft zu überblicken.
    Bei dem Manöver schrie Jefim: »Jetzt fällt er doch herunter! Er ist nicht schwindelfrei,
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