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Narrentod

Titel: Narrentod
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Hose. Beide sind aus Leinen geschnitten und an den Säumen mit blutroten Applikationen verziert. Am unteren Jackensaum, an den Hosenbeinen und den Taschen baumeln normalerweise Schellen in Reih und Glied. Jetzt sind sie teilweise abgerissen und liegen bis zum Kellergeschoss verstreut auf den Sandsteinstufen. Zusätzlich trägt er einen schweren, ledernen Schellengürtel wie eine Schärpe über der linken Schulter. Diese Schellen wirken nun wie eine traurige Parade verstummter Totenglöckchen.
    Der Gürtel ist beim Sturz in die linke Armbeuge verrutscht und fesselt den linken Arm an den leblosen Körper. Der andere Arm ist grotesk verrenkt. Die rechte Hand steckt in einem weißen Baumwollhandschuh, der sich in der Lache der Kopfwunde inzwischen mit Blut vollgesogen hat.
    »Ich hätte da noch eine Frage .«
    Der Hauptmann schaut mich erwartungsvoll an.
    »Wo waren zur Tatzeit eigentlich die beiden Bodyguards, die für gewöhnlich den Fulehung begleiten ?«
    »Das sind doch bloß Schulbuben. Die schützen ihn vor anderen Schulbuben«, winkt Geissbühler ab.
    »Ja, ja. Schon klar. Dennoch. Könnten Sie mir ihre Namen nennen ?«
    »Der eine heißt Radomir Vaskovi ć . Den anderen rufen sie angeblich Tscho oder Gio . Sein richtiger Name lautet Giovanni Righetto. Er besucht die Handelsmittelschule. Die Adressen der beiden kann Ihnen Wachtmeister Stucki angeben .«
    Jürg Lüthi macht eifrig Notizen, nachdem ich mit der rechten Hand eine Schreibbewegung in die Luft gezeichnet habe.
    »Und wo waren die beiden zur Tatzeit ?« , wiederhole ich meine erste Frage.
    »Als der Fulehung so um 16 Uhr die Kirchentreppe hochgestiegen ist, haben sich die beiden Beschützer angeblich bereits in der oberen Hauptgasse von ihm verabschiedet. Ich denke, die sind hundemüde gewesen, nach all der Rennerei .«
    »Trainiert und kräftig genug wären sie aber schon, ihrem Idol noch den Schädel einzuschlagen, oder? Zugang zum Schyt und Gelegenheit zur Tat hätten sie jedenfalls gehabt. Geht Regitto nicht sogar hier oben zur Schule ?«
    » Righetto «, korrigiert mich Jüre.
    »Sie sagen es ja selbst, Herr Feller. Der Fulehung ist ihr Idol gewesen. Sie haben ihn bewundert und beschützt. Ich seh da überhaupt kein Motiv .«
    Ich werfe einen fragenden Blick zu meinem Assistenten. Der weist mit dem Kopf zum Ausgang. Ich bin mit der angegebenen Richtung einverstanden. Halb im Weggehen noch bückt sich Jüre und zieht einen bunten Flyer unter der Holzbank im Eingang hervor. Wurde das Papierchen von der Spurensicherung übersehen? Es handelt sich um einen Gutschein für ein Gratistraining im TFZ, dem Thuner Fitness Zentrum, das mit dem Slogan the fitness family wirbt und bei mir die schlimmsten Befürchtungen weckt: erstickende Greise unter viel zu schweren Langhanteln, menstruierende Mamis in der Kniepresse und quengelnde Bälger auf der Zielgeraden eines digitalen Hometrainers. Jüre hält mir den Wisch unter die Nase und meint spöttisch: »Wäre das nicht was für dich, Hanspudi ?«
    »Ausgerechnet.« Und zum Hauptmann: »Ich danke für Ihre Hilfe, Herr Geissbühler«, schüttle seine Latexklaue und verschwinde mit meinem Assistenten.
    Wir haben noch zu tun in Thun.

6
    Endlich. Der Regen hat nachgelassen .
    »Gehen wir auf ein Bier ?« , schlage ich Jürg Lüthi vor. Er nickt. Fünf Minuten später sitzen wir an der Freienhofbar. Wir haben uns für die Hocker an der Theke entschieden. Dahinter beleuchten zwei köcherförmige Wandlampen eine terrakottafarbene Rückwand. Zwischen den Lampen hängt ein großes Gemälde. Darauf ist einmal mehr die gequälte Fratze des Fulehung s dargestellt. Einmal mehr? Falsch. Dreimal mehr. Es präsentieren sich gleich drei faule Hunde! Zweimal im Profil und einmal frontal folgen sie meinen Blicken, wohin ich mich auch wende. Jüre grinst.
    »Und zu allem Elend strömt da noch überall Blut übers Bild«, stellt er fest. Tatsächlich lässt die fließende Malweise des Künstlers keine treffendere Assoziation zu. Wir schauen uns mit gerunzelter Stirn an und prusten los, trotz des Stresses. Oder gerade wegen?
    »So, Herr Assistent. Kommen wir zur Situationsanalyse .«
    »In Ordnung. Was wissen wir bis jetzt ?« , fragt er zurück.
    Ich zögere und ertappe mich dabei, wie ich ein Härchen meiner rechten Augenbraue zwirble. Zwirbeln hilft mir beim Denken. Da die verdrehten Dinger aber eine nach der anderen ausfallen, entsteht allmählich ein Loch im Brauenbogen. Ich bin darüber erschrocken, als es mir zum ersten Mal im
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