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Narrentod

Titel: Narrentod
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Fulehungs. Bereits hier, nur wenige Meter vom Tatort entfernt, werde ich von der Fratze begrüßt, die ihrem Träger heute offenbar kein Glück gebracht hat.
    In kubistischer Malart ist ein merkwürdig blauäugiger Narr in rosarotem Gewand vor hoffnungsvollem Grün dargestellt. Der Künstler hat sich gegenüber der originalen Farbigkeit jede erdenkliche Freiheit genommen. Von links umflattert den Fulehung der Engel des Gerichts , und von rechts wird er durch den Minnesänger Heinrich von Strättligen mit einer Harfe belästigt. Ein sonderbares Trio. Das übermächtige Geflügel hält dem verunsicherten Idol ein weißes Spruchband entgegen, auf dem in grauer Schrift das geflügelte Wort SIC TRANSIT GLORIA MUNDI zu lesen ist. Auf dem Holzbalken darunter wird es für das Fußvolk mit So vergeht die Herrlichkeit dieser Welt übersetzt. Über die Herrlichkeit des Narren könnte man noch diskutieren. Seine Vergänglichkeit hat mit dem heutigen Tag mit Sicherheit ein trauriges Exempel gefunden.
    Drei Wege führen weiter vom Pavillon zum Schulhaus hinauf. Drei Möglichkeiten, ein Entscheid. Ich setze meinen Fuß auf die erste Stufe jener Treppe, die links von der Stützmauer hinaufführt. Es scheint mir der kürzeste Weg zu sein. In dem Moment taucht ausgerechnet dort eine Stadthostess auf, mit einer asiatischen Reisegruppe im Schlepptau, und verunmöglicht jegliches Durchkommen.
    »Sis is sö feimös Kirchentreppe , läik wi sei«, erklärt sie der aufmerksamen Herde. Mich schaudert’s. Ihre Schafe scheinen für diese Erklärung aber dankbar zu sein. Ein älterer Chinese mit feldgrauem Tirolerhütchen wiederholt andächtig: »Kilchentleppe« , und der Rest der Gruppe kichert.
    Ich kenne die sprachgewandte Hostess in ihrer zinnoberroten Uniform aus der Lokalpresse. Jetzt steigt die zielsichere Fremdenführerin strammen Schrittes die Stufen herunter, noch bevor ich mich abwenden und in den Aufgang rechts der Mauer retten kann.
    »Guten Tag, Frau Murer«, grüße ich, mehr aus Verlegenheit, denn aus Höflichkeit.
    Sie schaut mich überrascht an und erwidert den Gruß fast tonlos. Sie dürfte um die 40 sein, ist mit auffällig großen Ohren und einem mädchenhaften Sommersprossengesicht gesegnet. Frau Murer hat sich letzte Woche in einer Kolumne des Thuner Tagblattes vehement dafür eingesetzt, dass der Fulehung den hölzernen Schlagstock gegen eine weniger schmerzhafte Waffe eintauscht. Sie hat vorgeschlagen, dass sich der Stadtnarr mit einem der quietschenden Plastikhämmer ausrüstet, wie sie am Berner Zibelemärit mindestens so verbreitet wie verpönt sind. Damit hat sie sich selbst zum Narren gemacht, finde ich. Dem Zeitungsartikel war Frau Murers Porträt angefügt. Dummheit hat so definitiv ein Gesicht bekommen.
    Außer Atem erklimme ich die letzten paar Treppenstufen und steuere endlich auf den Tatort zu. Vor der kassettierten Holztüre stehen zwei uniformierte Polizisten wie Zierzypressen.
    »Ist geschlossen«, schnauzt der eine.
    Der andere ergänzt. »Tut uns leid. Sie dürfen da jetzt nicht rein .«
    »Ich bin aber mit Hauptmann Geissbühler verabredet«, halte ich dagegen.
    »Moment«, antwortet der höflichere der beiden Uniformierten und verschwindet im Eingang. Kurz darauf kehrt er zurück, schwenkt seinen Kopf zur Tür und meint: »Sie können .«
    »Sie mich auch«, brumme ich, leise genug.

4
    Im Schulhaus riecht es eigenartig. Wonach bloß?
    Ich trete in die Eingangshalle, öffne die Knöpfe meines Regenmantels, hebe ihn am Kragen hoch und schüttle das Wasser ab. Die Tropfen fallen auf den rötlichen Klinkerboden, der sich nach der pudelgrauen Schmutzschleuse meinen nassen Sohlen präsentiert. Links an der Wand steht eine einsame Holzbank unter einem Feuerlöscher. Daran anschließend folgt eine dunkelrote Türe, die mit Klasse H2A angeschrieben ist. Gegenüber der Holzbank befindet sich ein Stauraum. Dort liegt Schulmaterial in offenen Schränken wild durcheinander. Handelt es sich dabei um Kampfspuren? Ergibt es allfällige Hinweise auf den Tathergang? Kaum.
    Immerhin entdecke ich im Chaosraum einen Kaffeeautomaten. Das wär’ was: Jetzt einen heißen Fertigkaffee aus einem Pappbecher schlürfen. Aber die weißen Gestalten der Spurensuche schubsen mich weg. Die Eingangshalle ist L-förmig angeordnet. Geradeaus steht ein Tischchen mit einem großen Blumenstrauß. Neben den Blumen liegen Fulehungs Söiplatere. Von dort rührt auch der gewöhnungsbedürftige Geruch. Der süße Duft der Tigerlilien mischt
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