Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
Vom Netzwerk:
mehr als tausend Jahren Pilger aus Österreich und dem umliegenden Ausland an. Nun aber, Mitte September, lag das Gotteshaus leer und verlassen da und der niederösterreichische Ort dämmerte in den Herbst hinein. Der verwaiste Hauptplatz, die Kioske mit zahlreichen bunten Bildern und den obligatorischen Wanderkarten, sowie die geräumige Gastwirtschaft verbreiteten jedoch auch menschenleer eine unterschwellige Geschäftigkeit, wie sie für Wallfahrtsorte typisch war.
    »Wie kommst du bloß immer wieder auf solche Gedanken?«, flüsterte Georg und blätterte kopfschüttelnd in der schmalen Kirchenbroschüre.
    »Na ja, unser kleiner Freund Jauerling wurde keine fünfzig Kilometer von hier geboren«, gab Wagner zurück, »aber dass der Name des Berges und sein Familienname gleich sind, das hat mich schon fasziniert und zum Nachdenken gebracht.«
    »Und dann bist du auf diese Kirche hier gestoßen«, setzte Sina fort und betrachtete den gotischen Flügelaltar, in dessen Mitte eine prachtvoll geschmückte und freundlich blickende Maria mit einem lachenden Jesuskind saß.
    »Das war einfach, es gibt keine andere Wallfahrtskirche am Jauerling«, grinste der Reporter und streichelte Tschak, der neben ihnen auf der Holzbank lag. »Außerdem ist es ein netter Ausflug nach all der Aufregung.«
    »Wenn ich dir alles glaube, aber das nicht«, schmunzelte Georg. »Gib zu, da war noch ein Hintergedanke, Herr Reporter.«
    Paul zog daraufhin ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus seiner Tasche und begann leise vorzulesen: »
Dein Archiv ist in guten, in gebenedeiten Händen, mein Freund, auch wenn ich dieses Land verlasse. Es wird bewacht vom Schwert eines Mohren. Deine unschätzbaren Aufzeichnungen, die langen Schatten des Schwarzen Bureaus, würden morgen das Chaos ausbrechen lassen und Europa destabilisieren und das wusstest Du nur zu gut.«
    Er blickte den Wissenschaftler an. »Glaubst du wirklich, das würde mich in Ruhe lassen? Und dann fand ich aus Zufall heraus, dass im Zentrum der Wallfahrt nach Maria Laach das Gnadenbild einer sechsfingrigen Madonna steht. Ein gewagter Schluss, ich weiß.«
    »Gebenedeite Hände«, wiederholte Sina gedankenverloren. »Die sechsfingrigen Madonnen sind gar nicht so selten in der christlichen Ikonografie. Sie sind immer ein Zeichen für besondere Verehrung und für die gesegneten Hände Marias. Die sechs Finger sollen dem Betrachter vor Augen führen, dass er es mit der Gottesmutter und nicht mit einer gewöhnlichen Frau zu tun hat.« Er verstummte und begann mit der rechten Hand Dreien auf das Holz der Kirchenbank zu malen.
    »Jetzt fehlt uns nur noch der Mohr mit seinem Schwert und dann …« Paul schaute hoffnungsvoll auf Georg.
    »Du träumst, wenn du an das Archiv des Schwarzen Bureaus denkst«, gab Sina zurück, »wieso sollte Metternich die Aufzeichnungen ausgerechnet hier versteckt haben? In diesem Nest, das 1848 einige Hundert Einwohner hatte.« Georg blätterte wieder in der Broschüre. »Wenn überhaupt«, setzte er hinzu.
    »Es ging wohl kaum um Glanz und Pracht, eher um Verschwiegenheit und einen sicheren Platz«, gab Paul zurück. »Mohr, Schwert, Archiv.« Wagner sah Sina erwartungsvoll an.
    »Und du meinst jetzt, Auftritt der Wissenschaft und voilà, Rätsel gelöst«, amüsierte sich Georg. »Diese Aufzeichnungen des Balthasar Jauerling können überall liegen, mein Lieber, gebenedeite Hände gibt es viele und Mohren mit einem Schwert … was weiß ich, was dieser Fuchs Metternich damit meint.«
    »Dann komm einmal mit, ich muss dir was zeigen«, meinte Wagner leise, nahm Sina am Arm und zog ihn aus der Bank, führte ihn den Mittelgang entlang bis zu einem eindrucksvollen Grabmal aus Marmor ziemlich genau in der Mitte der Kirche. Paul nahm den Kirchenführer zur Hand und las vor: »Das Grabmal des Kuefsteiners Hans Georg III. ist ein monumentaler, rechteckiger Kenotaph aus verschiedenfarbigem Marmor, geschmückt von einem Alabasterrelief mit Darstellungen von Kriegstrophäen, Waffen, einer Kanone und einem Türkenzelt. In der Umschrift finden sich Bibelsprüche, an den Seiten halten Putti verschiedene Wappen. Auf dem Kenotaph kniet eine lebensgroße Statue des Verstorbenen in voller Rüstung, in ewiger Anbetung dem Altar zugewandt.«
    Sina hatte nachdenklich zugehört. »Ja, ich erinnere mich, Kuefstein war einer der führenden protestantischen Adeligen Niederösterreichs. Ein humanistisch gebildeter Freigeist, loyaler Diener der Kaiser Maximilian II. und Rudolph II. Er war

Weitere Kostenlose Bücher