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Narcopolis

Narcopolis

Titel: Narcopolis
Autoren: Jeet Thayil
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ich, dass ich davorstand. Der Eingang war zugemauert worden. Man musste an der Seite herumgehen, und da war sie, Rashids alte Khana, jetzt ein Büro. Es gab Trennwände aus Sperrholz, Tische unter Neonlicht, und junge Männer und Frauen, die an Bildschirmen saßen und in Headsets redeten. Im Fernseher in der Ecke lief ein Nachrichtensender; ein Junge in blauer Uniform servierte Tee. Der alte Waschbereich mit seinen Blechfässern und dem offenen Abfluss war zu einer kleinen Einbauküche mit Miniaturkühlschrank und zwei winzigen Becken geworden. Links davon, dort, wo der Balkon gewesen war, saß ein Mann in einer Kabine. Sie war der einzige private Ort in diesem Raum, und sein Tisch der einzige mit Computer und Drucker. Er schaltete den Bildschirm aus und erhob sich.
    »Sie sind?«
    »Ich suche Rashid, ihm hat das hier früher mal gehört. Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
    »Er ist nicht da. Sie können Ihre Nummer da auf dem Notizblock hinterlassen, und ich werde ihn bitten, Sie zurückzurufen.«
    Eine kleine Gruppe hatte sich um uns versammelt.
    »Hören Sie, könnten Sie ihm sagen, ein alter Freund sei hier, um ihn zu besuchen? Ich werde seine Zeit auch nicht lange in Anspruch nehmen.«
    »Sie müssen mir schon Ihren Namen verraten, alter Freund, irgendeine Information, sonst wird er Sie wohl kaum sehen wollen.«
    »Sagen Sie ihm, ich sei in der alten Zeit Stammgast gewesen und weit gereist, um ihn zu sehen.«
    Ich sah ein Zucken, ein unwillkürliches Etwas, ausgelöst von einem Wort, das ich gesagt, vom Tonfall, in dem ich es gesagt hatte. Er deutete auf einen Stuhl, aber ich blieb, wo ich war. Die Gruppe löste sich auf, und Jamal und ich standen einander gegenüber wie Cowboys in einem Spaghetti-Western. Er zog zuerst. Ja, ich bin Jamal, sagte er; sein Händedruck war schlaff und kraftlos. Ich fragte, ob sein Vater noch oben wohne. Er zögerte. Dann erwiderte er: Er ist nicht mehr im Drogengeschäft. Sind Sie wirklich sicher, dass Sie ihn sehen wollen?
    •••
    Die Büroangestellten taten mehrere Dinge gleichzeitig, und ihr mit den Intonationen des Kabelfernsehens angereicherter Akzent war überall auf der Welt wiederzuerkennen, Amerika via
Friends
und
Seinfeld
. Zwei Frauen saßen an zusammengestellten Tischen und redeten über eine Kundin. Sie hat so einen scheißlangen Namen, vier Silben, sagte die eine. Was, fragte die andere, wie Gonsalves? Nee, erwiderte die erste, vier, kapiert? Vier wie O-Doh-her-tee, und ich denk, kürz ihn ab, blöde Kuh. Die zweite Frau sagte: Nenn sie doch Doh. Keine Sorge, sagte die erste, weiß schon, wie ich sie nennen werde. Sie lachten, sahen mich und hörten auf zu lachen. Ich erhaschte einen Blick auf mich im Spiegel, der an einer der Wände hing. Ich trug einen roten Lederbeutel mit Ersatzwäsche und besaß die Schlüssel zu einer Mietwohnung in der Vorstadt, ein Notebook, ein Handy und Geld; es gab für mich keinen Grund, hier zu sein. Als Jamal zurückkehrte, hatte er das weiße Bürohemd gegen Kurta und Kippa eingetauscht. An den Füßen trug er Jutis, wie ich sie in Bombay noch nie gesehen hatte, Jutis aus dunklem Kamelleder, die Spitzen in hohem Bogen aufgezwirbelt.
    »Mein Vater ist beschäftigt«, sagte er. »Er will niemanden sehen.«
    »Mich will er sehen. Ich war sein Freund.«
    »Sie waren ein Kunde. Er hatte viele Kunden und alle behaupten, mit ihm befreundet gewesen zu sein. Dabei führte er nur ein Geschäft, und das nicht besonders gut.«
    »Es passt Ihnen nicht, Jamal, das weiß ich, aber Ihr Vater ist mein Freund. Kann ich zu ihm?«
    »Setzen Sie sich und trinken Sie einen Tee. Wir reden, dann sehen wir weiter.«
    •••
    Er sagte: »Sie sind Dom Ullis. Wir haben Sie oft Doom genannt, das drohende Unheil, oder auch Dum nach ›Dum Maro Dum‹, und er sang die Titelzeile aus dem Film. »Manchmal habe ich Sie auch den Verfluchten Ullis genannt wegen all dem, was Sie gesagt haben. Inzwischen bin ich älter. Leute meines Alters nehmen unsere Kultur nicht mehr auf die leichte Schulter. Und wir sind nicht so tolerant wie unsere Väter. Wissen Sie noch? Sie haben gesagt, Religion sei unwichtig.« Es überraschte mich, dass er sich an ein viele Jahre zurückliegendes Gespräch erinnerte, sich so deutlich daran erinnerte, als hätte es eben erst stattgefunden. Er wusste noch die genauen Worte, die Rashid und ich ausgetauscht und vergessen hatten. Es war, als könnte er sie in seinem Kopf noch hören. »Wissen Sie«, sagte er, »was mir mein Vater erzählt
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