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Narben

Narben

Titel: Narben
Autoren: Jonathan Kellerman
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Bauarbeiten im Sanktum im L. A. Times -Literaturteil. Die erste Gruppe von Sanktum-Stipendiaten wird vorgestellt:
    Christopher Graydon-Jones, 27, Bildhauer, Spezialität: Eisenstrukturen und Schrottobjekte, Newcastle, England.
    David Mellors, 28, früherer Doktorand in Amerikanischer Literatur, Columbia-Universität, und Rezensent des Manhattan Book Review , »Mr. Mellors wird im Sanktum seinen ersten Roman, Die Braut , fertigstellen.«
    Joachim Sprentzel, 25, Komponist elektronischer Musik, aus München.
    Terrence Trafficant, 41, Essayist und früherer Insasse des Staatsgefängnisses in Rahway, New Jersey; dreizehn Jahre wegen Totschlags inhaftiert.
    Am nächsten Tag ging es in den Zeitungen nur noch um Trafficant: wie seine Annahme als Sanktum-Stipendiat seine Begnadigung beschleunigt hatte und Einzelheiten über seine Vorstrafen: Raub, Körperverletzung, Drogenmißbrauch, versuchte Vergewaltigung. Seit seinem siebzehnten Geburtstag war er fast ununterbrochen in Gefangenschaft gewesen. Außer einem Gefängnistagebuch hatte er nichts produziert, was man im entferntesten als künstlerisch bezeichnen konnte. Ein Foto zeigte ihn in seiner Zelle, die tätowierten Hände an den Gitterstäben. Er war dünn, blond, mit langem mattem Haar, schlechten Zähnen, eingesunkenen Wangen und einem teuflischen Ziegenbart.
    Auf die Frage, warum er Trafficant ausgesucht habe, sagte Lowell: »Terry ist zutiefst authentisch, was Fragen von Freiheit und Willen angeht. Er ist ein Anarchist und wird fruchtbare Impulse geben.«
    Mitte August: Die Eröffnung des Sanktums wird mit einem zweitägigen Fest in der früheren Nudistenkolonie gefeiert. Morris B. Lowell im weißen Kaftan, trinkend und Monologe zelebrierend, umgeben von Bewunderern. Unter den Gästen sind ein Psychologieprofessor, der sich für LSD stark macht, ein arabischer Waffenhändler, ein Kosmetikmilliardär, diverse Schauspieler, Regisseure, Agenten, Produzenten und ein Schwärm von Journalisten.
    Terry Trafficant wurde im Kreise seiner Fans gezeigt. Sein Gefängnistagebuch, Vom Hunger zum Zorn , war eben von Lowells Verleger erworben worden. Der Lektor hatte es eine »Injektion Gift und Schönheit« genannt, »eines der wichtigsten Bücher, die dieses Jahrhundert hervorgebracht hat«.
    Der Polizeibeamte, der Trafficant nach dem Totschlag festgenommen hatte, wurde ebenfalls zitiert: »Der Kerl stellt eine ernste Gefahr dar. Er ist wie eine Bombe, die jeden Moment hochgehen kann. Ich verstehe nicht, wie man ihn frei herumlaufen lassen kann.«
    Die nächsten Verweise bezogen sich auf Interviews mit Trafficant. Der Ex-Knacki bezeichnete sich als »geläuterten Abschaum, Großstadtindianer auf Entdeckungsreise durch eine neue Welt« und zitierte Marx und avantgardistische Nachkriegsliteratur. Als er nach seinen Verbrechen gefragt wurde, sagte er: »Das ist alles tot.« Er pries Lowell für seine Befreiung und nannte ihn »einen der vier größten Menschen, die je gelebt haben«; die andern drei seien Jesus Christus, Krishnamurti und Peter Kürten. Auf die Frage, wer denn Peter Kürten sei, antwortete Trafficant: »Schlag doch nach, Mann« und brach das Interview ab.
    Der Journalist befolgte den Rat und identifizierte Kürten als einen deutschen Massenmörder, »das Ungeheuer von Düsseldorf«, der zwischen 1915 und 1930 Dutzende von Männern, Frauen und Kindern auf sadistische Weise vergewaltigt und abgeschlachtet hatte. Zudem hatte er eine Vorliebe für Geschlechtsverkehr mit Kühen und Schweinen gehabt und die Hoffnung geäußert, daß er auf dem Schafott sein eigenes Blut sprudeln hören würde.
    Als der Reporter nachfragte, wie er ein solches Monstrum als »großen Menschen« bezeichnen konnte, sagte Trafficant: »Es kommt immer auf den Kontext an, Freundchen.«
    Es folgte eine Flut wütender Briefe. Mehrere religiöse Führer verurteilten Lowell in ihren Sonntagspredigten. Lowell und Trafficant verweigerten weitere Interviews, und nach einer Woche war die Aufregung vorüber. Im Frühjahr erschien Vom Hunger zum Zorn , erhielt durchweg euphorische Kritiken und kletterte bis auf Nummer zehn der Bestsellerliste der New York Times . Eine geplante Tournee platzte jedoch, nachdem der Autor zu einem Interview in einer der großen Frühstücksshows nicht erschien.
    Als Buck Lowell gefragt wurde, wo sein Schützling wohl sein könnte, sagte er: »Terry verließ uns vor zwei Wochen, gleich nach dem Unsinn mit Kürten. Er ist ein Mann, der sehr ernst nimmt, was geschrieben wird. Er war
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