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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln
Autoren: Haruki Murakami
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fragte ich. »Irgendwo ein tiefer Brunnen, und keiner weiß, wo. Jemand fällt rein, und weg ist er.«
    »Weg, genau, aaaaaahhhhh, platsch. Schluß, aus.«
    »So was passiert wirklich manchmal, oder?«
    »Klar passiert das manchmal. Alle zwei, drei Jahre einmal. Jemand verschwindet plötzlich und ist trotz allen Suchens nirgends mehr aufzufinden. Von dem heißt es dann hier in der Gegend: Er ist in den Feldbrunnen gefallen.«
    »Nicht gerade ein schöner Tod.«
    »Ein grauenhafter Tod«, stimmte sie mir zu und pflückte sich ein paar Grassamen von der Jacke. »Wenn du dir dabei den Hals brichst, hast du Glück, aber wenn du dir nur den Fuß verstauchst oder so was, bist du schlecht dran. Du schreist, so laut du kannst – immer wieder –, aber niemand hört dich, und niemand wird dich finden. Um dich herum wimmelt es von Tausendfüßlern und Spinnen, und die Knochen von den Leuten, die dort vermodert sind, liegen überall verstreut. Es ist stockdunkel und feucht. Weit oben über dir schwebt kalt wie der Wintermond ein winzig kleines rundes Licht, und du gehst ganz langsam und allein zugrunde.«
    »Wenn ich nur daran denke, kriege ich eine Gänsehaut«, sagte ich. »Jemand sollte den Brunnen suchen und eine Einfriedung bauen.«
    »Aber niemand kann ihn finden. Also bleib auf dem Weg.«
    Naoko zog die linke Hand aus der Tasche und drückte meine rechte.
    »Hab keine Angst. Dir passiert nichts. Du könntest blindlings mitten in der dunkelsten Nacht hier herumrennen, ohne jemals in den Brunnen zu fallen. Und solange ich bei dir bin, kann auch ich nicht in den Brunnen fallen.«
    »Nie?«
    »Nie!«
    »Woher weißt du das denn so genau?«
    »Ich weiß es einfach.« Naoko drückte meine Hand noch fester, und wir gingen eine Weile schweigend weiter. »In solchen Sachen kenne ich mich aus. Sie haben nichts mit Logik zu tun: ich spüre sie. Zum Beispiel, wenn ich dir wie jetzt sehr nahe bin, habe ich nicht das kleinste bißchen Angst. Nichts Schlechtes und Düsteres kann mir etwas anhaben.«
    »Dann ist ja alles ganz einfach. Du mußt nur ständig bei mir bleiben«, sagte ich.
    »Meinst du das im Ernst?«
    »Natürlich.«
    Naoko blieb stehen. Ich auch. Sie legte mir beide Hände auf die Schultern und sah mir in die Augen. Eine tiefschwarze, zähe Flüssigkeit schien in ihrer Iris wundersame Wirbel zu zeichnen. Lange schaute dieses schöne Augenpaar in mich hinein. Dann reckte Naoko sich zu mir hinauf und legte ihre Wange sanft gegen meine. Es war eine warme, zärtliche Geste, die mein Herz einen Augenblick lang stillstehen ließ.
    »Danke«, sagte Naoko.
    »Gern geschehen«, entgegnete ich.
    »Mit dem, was du gerade gesagt hast, machst du mich sehr glücklich. Wirklich.« Sie lächelte traurig. »Aber es würde nicht funktionieren.«
    »Warum denn nicht?«
    »Weil es nicht richtig wäre, es wäre ungerecht. Es – « Naoko brach ab und ging weiter. Da sie sichtlich ganz mit ihren Gedanken beschäftigt war, störte ich sie nicht und trottete schweigend neben ihr her.
    »Es wäre einfach nicht richtig – dir gegenüber und auch mir gegenüber nicht«, fuhr sie nach einer längeren Pause fort.
    »In welcher Hinsicht nicht richtig?« fragte ich leise.
    »Es ist eben unmöglich, daß eine Person für alle Ewigkeit auf eine andere aufpaßt. Stell dir vor, wir würden heiraten. Du müßtest doch zur Arbeit. Wer würde auf mich aufpassen, während du in der Firma bist? Oder wenn du auf eine Geschäftsreise gehst? Soll ich bis zum Lebensende an dir kleben wie ein Klette? Das wäre doch nicht gerecht. So was kann man doch nicht als zwischenmenschliche Beziehung bezeichnen, oder? Irgendwann hättest du es satt mit mir. ›Was ist aus meinem Leben geworden?‹ würdest du dich fragen. ›Ich kann doch nicht ständig nur auf diese Frau aufpassen.‹ Das könnte ich nicht ertragen. Außerdem wäre es keine Lösung für meine Probleme.«
    »Aber die wirst du doch nicht dein ganzes Leben lang mit dir herumschleppen.« Ich berührte ihren Rücken. »Eines Tages hast du es überstanden. Und dann können wir alles noch einmal überdenken und neu anfangen. Vielleicht brauche ich dann sogar deine Hilfe. Wir gehen doch mit unserem Leben nicht um wie Buchhalter. Wenn du mich brauchst, dann stehe ich dir eben zur Verfügung. Verstehst du? Warum siehst du das so eng? Du mußt entspannter sein. Laß dich gehen, ich fange dich auf. Du bist so verkrampft, daß du natürlich immer das Schlimmste befürchtest. Entspann dich doch mal, dann geht’s dir
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