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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln
Autoren: Haruki Murakami
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für mich ist es eine große Freude, daß Sie Naokos Sachen tragen.«
    Reiko lachte und steckte sich mit einem Feuerzeug die Zigarette an. »Für ihr Alter können Sie schon ganz gut mit Frauen umgehen.«
    Ich wurde ein bißchen rot. »Ich sage nur ehrlich, was ich denke.«
    »Weiß ich doch«, sagte Reiko lächelnd.
    Inzwischen war der Reis gar, ich fettete die Pfanne und fing mit dem Sukiyaki an.
    »Das ist doch hoffentlich kein Traum?« rief Reiko und hob schnuppernd die Nase.
    »Nein, das ist hundertprozentig echtes Sukiyaki. Ich spreche da aus Erfahrung.«
    Wir stellten nun jedes Gespräch ein, aßen schweigend unser Sukiyaki und tranken Bier. Angelockt vom Duft des Essens, schlich Möwe heran, und wir teilten unser Fleisch mit ihr. Als wir satt waren, lehnten wir uns an die Pfosten der Veranda und betrachteten den Mond.
    »Hat’s geschmeckt?« fragte ich.
    »Sehr. Ich platze, so viel habe ich noch nie gegessen«, ächzte Reiko.
    »Was möchten Sie jetzt machen?«
    »Eine rauchen und ins Bad gehen. Meine Haare sind widerlich, ich muß sie waschen.«
    »Kein Problem. Es gibt eins ganz in der Nähe.«
    »Sagen Sie mir, Herr Watanabe, aber nur wenn es Ihnen nichts ausmacht: haben Sie inzwischen mit dem Mädchen Midori geschlafen?«
    »Ob wir Sex hatten? Nein, wir haben uns entschieden zu warten, bis alles geklärt ist.«
    »Nun ist ja alles geklärt.«
    Verständnislos schüttelte ich den Kopf. »Sie meinen, jetzt wo Naoko tot ist?«
    »Nein, Sie hatten sich ja schon vor Naokos Tod entschieden, sich nicht von Midori zu trennen. Das hatte ja nichts mit Naokos Leben oder Tod zu tun. Sie haben sich für Midori entschieden, und Naoko hat sich für den Tod entschieden. Sie sind jetzt erwachsen und tragen deshalb die Verantwortung für Ihre Entscheidungen. Wenn Sie das nicht schaffen, geht alles den Bach runter.«
    »Aber ich kann Naoko nicht vergessen«, sagte ich. »Ich habe ihr versprochen, für immer auf sie zu warten. Aber das habe ich nicht getan. Am Ende habe ich sie im Stich gelassen. Das ist keine Frage von Schuld oder Nicht-Schuld – es ist ein Problem für mich selbst. Wenn ich sie nicht im Stich gelassen hätte, wäre deshalb wahrscheinlich auch nichts anders geworden. Naoko wollte wirklich sterben. Aber das hat mit meinem Problem nichts zu tun. Sie haben mir geschrieben, gegen die natürlichen Regungen des Herzens sei kein Kraut gewachsen, aber Naokos Beziehung zu mir war nicht so einfach. Wenn ich es mir recht überlege, hatte unsere Beziehung von Anfang an etwas mit der Grenze zwischen Leben und Tod zu tun.«
    »Den Schmerz, der Naokos Tod Ihnen bereitet, können Sie sich Ihr ganzes Leben lang bewahren. Und wenn es für Sie etwas daraus zu lernen gibt, lernen Sie es. Aber werden Sie glücklich mit Midori. Ihr Schmerz hat nichts mit Ihrer Liebe zu Midori zu tun. Wenn Sie sie noch weiter verletzen, können Sie das vielleicht nie mehr gutmachen. Auch wenn es schwerfällt, Sie müssen stark sein. Und noch erwachsener werden. Nur um Ihnen das zu sagen, habe ich das Heim verlassen und bin den ganzen Weg in diesem Sarg von einem Zug hierhergefahren.«
    »Ich begreife sehr gut, was Sie mir sagen wollen. Aber ich bin noch nicht so weit, daß ich Ihrem Rat folgen kann. Diese mickrige Trauerfeier – niemand sollte so sterben.«
    Reiko streckte die Hand aus und strich mir über den Kopf. »Wir alle müssen so sterben. Ich und auch Sie.«
    Wir gingen den fünfminütigen Weg am Flußufer entlang zum Bad und kehrten erfrischt nach Hause zurück. Wir öffneten den Wein und setzten uns damit auf die Veranda.
    »Herr Watanabe, bringen Sie doch noch ein Glas.«
    »Natürlich. Aber wozu?«
    »Wir beide halten jetzt unsere eigene Totenfeier für Naoko ab. Und die wird kein bißchen traurig.«
    Nachdem Reiko das Glas bis zum Rand gefüllt hatte, stellte sie es auf die Steinlaterne im Garten. Dann setzte sie sich mit ihrer Gitarre auf die Veranda und rauchte ihre nächste Zigarette.
    »Und wenn Sie dann noch Streichhölzer hätten? Möglichst viele.«
    Ich brachte ihr eine Haushaltspackung Streichhölzer aus der Küche und ließ mich neben ihr nieder.
    »Jetzt legen Sie bitte für jedes Lied, das ich spiele, ein Streichholz aus. Ich werde jetzt alles spielen, was ich kann.«
    Als erstes spielte sie eine weiche, schöne Version von Henry Mancinis Deep Heart. »Diese Platte haben Sie mal Naoko geschenkt, oder?«
    »Ja, zu Weihnachten vorvoriges Jahr. Sie hat dieses Stück sehr geliebt.«
    »Mir gefällt es auch«, sagte Reiko.
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