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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln
Autoren: Haruki Murakami
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offen über Sexualität gesprochen, aber Naoko hat sich immer geniert, deutlicher zu werden. Es erschreckte mich etwas, daß sie plötzlich so ungehemmt davon sprach. ›Ich möchte einfach darüber sprechen‹, erklärte sie, ›aber wenn es dir nicht recht ist, höre ich auf.‹
    ›Nein, rede dir nur alles von der Seele. Ich höre dir zu‹, ermutigte ich sie.
    ›Ich hatte nicht geahnt, daß es so weh tun würde, als er in mich eindrang‹, erzählte Naoko. ›Aber es war ja auch das erste Mal. Ich war zwar so naß, daß er ganz leicht hineinglitt, aber trotzdem verlor ich vor Schmerz fast die Besinnung. Ich dachte, er sei schon ganz drin, aber dann hob er meine Beine an und drang noch tiefer ein. Kalte Schauer liefen mir über den Rücken. Mir war, als ob ich in Eiswasser getaucht würde. Meine Arme und Beine waren wie gelähmt, und eine Eiseskälte durchströmte mich. Ich wußte nicht, wie mir geschah, und dachte, ich würde sterben, aber das war mir auch egal. Doch als er merkte, daß ich Schmerzen hatte, blieb er zwar in mir, hörte aber auf, sich zu bewegen, und nahm mich zärtlich in die Arme und küßte immer wieder mein Haar, meinen Hals und meine Brüste. Allmählich kehrte die Wärme in meinen Körper zurück, und er begann ganz langsam, sich wieder zu bewegen. Ach, Reiko, das war so wunderbar, in meinem Kopf schien etwas zu schmelzen. Ich hätte das ganze Leben so in seinen Armen liegen können! Wirklich.‹
    ›Aber wenn es so wunderbar war, warum bist du dann nicht bei Herrn Watanabe geblieben und hast jeden Tag mit ihm geschlafen?‹
    ›Nein, Reiko, ich wußte, daß es für mich das einzige Mal sein würde und es danach nie wieder so werden konnte. Ein unwiederbringliches, einmaliges Erlebnis. So etwas habe ich nie vorher empfunden und werde es auch nie mehr empfinden. Ich habe auch nicht mehr den Wunsch verspürt, es zu tun, und feucht bin ich auch nicht mehr geworden.‹
    Natürlich habe ich ihr erklärt, daß so etwas bei jungen Frauen häufig vorkommt und sich mit den Jahren ganz natürlich und von selbst gibt. Zudem hatte es ja auch einmal geklappt, also bestand kein Grund zur Sorge. Zu Beginn meiner Ehe hatte ich selbst alle möglichen ähnlichen Probleme gehabt.
    ›Nein, das ist es nicht‹, sagte Naoko. ›Deswegen mache ich mir gar keine Sorgen. Ich möchte nur nicht, daß noch einmal jemand in mich eindringt und auf diese Weise von mir Besitz ergreift.‹«
    Als ich mein Bier ausgetrunken hatte, war Reiko mit ihrer zweiten Zigarette fertig. Die Katze streckte sich in Reikos Schoß, machte es sich noch einmal bequem und schlief wieder ein. Etwas unentschlossen zündete sich Reiko eine weitere Zigarette an.
    »Als Naoko auf einmal anfing zu weinen, setzte ich mich an ihr Bett, streichelte ihren Kopf und tröstete sie, daß alles gut werden würde und daß ein so hübsches junges Mädchen wie sie in den Armen eines Mannes ganz bestimmt ihr Glück finden würde. Es war sehr heiß. Naoko war völlig durchweicht von Schweiß und Tränen. Ich holte ein Handtuch und trocknete ihr Gesicht und ihren Körper ab. Sogar ihre Unterhose war ganz naß, also half ich ihr, sie auszuziehen… daran war nichts komisch. Wir haben ja auch zusammen gebadet, sie war wie meine kleine Schwester.«
    »Ich weiß doch«, sagte ich.
    »Naoko wollte von mir in den Arm genommen werden. Ich fand es ein bißchen zu heiß dafür, aber sie sagte, wir würden uns doch zum letzten Mal sehen. Also umarmte ich sie, das Badehandtuch zwischen uns, damit wir nicht aneinander kleben blieben. Als sie sich nach einem Weilchen etwas beruhigt hatte, trocknete ich sie noch einmal ab, zog ihr das Nachthemd an und legte sie zu Bett. Sie schlief sofort ein. Oder vielleicht tat sie auch nur so. Jedenfalls war ihr Gesicht so lieb und unschuldig wie das eines dreizehn- oder vierzehnjährigen Mädchens, dem seit dem Tag seiner Geburt kein Leid geschehen ist. Dieser Anblick ließ mich beruhigt einschlafen.
    Als ich am nächsten Morgen gegen sechs aufwachte, war sie nicht mehr da. Ihr Nachthemd lag auf dem Boden, aber ihre Kleider und ihre Turnschuhe sowie die Taschenlampe, die ich immer am Kopfende liegen habe, waren verschwunden. Ich wußte gleich, daß etwas schiefgelaufen war. Daß sie die Taschenlampe mitgenommen hatte, bedeutete, daß sie im Dunkeln aufgebrochen war. Sicherheitshalber sah ich auf ihrem Schreibtisch nach und fand die Notiz ›Bitte geben Sie Reiko meine Kleider‹. Sofort alarmierte ich die anderen, und wir durchsuchten
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