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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln
Autoren: Haruki Murakami
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Naokos Zustand ergeben hatten, sollte sie länger dort bleiben, um an einer intensiven Therapie teilzunehmen, die allmählich zu ihrer vollständigen Heilung führen sollte. So viel hatte ich Ihnen ja bereits in meinem Brief vom 10. August geschrieben.«
    »Ja, den habe ich gelesen.«
    »Am vierundzwanzigsten August fragte Naokos Mutter telefonisch an, ob Naoko mich besuchen dürfe. Naoko wolle ihre Sachen abholen und sich noch einmal ganz in Ruhe mit mir unterhalten, da wir uns ja nun eine Zeitlang nicht sehen würden. Vielleicht würde sie auch eine Nacht in unserer Wohnung übernachten. Ich war mit allem einverstanden, denn ich vermißte Naoko schrecklich und wollte sie unbedingt sehen und mit ihr sprechen. Am folgenden Tag, dem fünfundzwanzigsten, kamen Naoko und ihre Mutter in einem Taxi an. Zu dritt packten wir ihre Sachen zusammen und plauderten ganz gelöst über alles mögliche. Am späten Nachmittag sagte Naoko, ihre Mutter könne nun ruhig nach Hause fahren. Also riefen sie ein Taxi, und ihre Mutter fuhr ab. Da Naoko in so guter Stimmung war, hegten wir nicht die geringsten Befürchtungen. Ehrlich gesagt, ich war vorher halb verrückt vor Sorge gewesen und hatte mich schon darauf gefaßt gemacht, daß sie vielleicht ganz verfallen und deprimiert wäre. Ich weiß genau, wie zehrend die Tests und Therapien in diesen Einrichtungen sein können, und war ernstlich beunruhigt. Doch ein Blick überzeugte mich, daß mit ihr alles in Ordnung war. Sie sah viel besser aus, als ich erwartet hatte, lächelte, machte Scherze, sprach wieder ganz normal und war sogar beim Friseur gewesen und präsentierte stolz ihre neue Frisur. Deswegen dachte ich auch, es sei kein Problem, wenn wir beide ohne ihre Mutter zurückblieben. Diesmal wolle sie in der Klinik endgültig gesund werden, sagte Naoko. Und ich ermutigte sie, so gut ich konnte. Wir gingen draußen spazieren, und sie sprach davon, wie schön es wäre, wenn wir beide das Sanatorium verlassen und zusammenleben könnten.«
    »Sie und Naoko?«
    »Ja.« Reiko zuckte die Achseln. »Mir wäre es recht gewesen. Aber was wird dann mit Herrn Watanabe? fragte ich sie, worauf sie erwiderte, daß sie mit Ihnen schon klarkäme. Mehr nicht. Danach sprach sie nur noch davon, wo wir leben und was wir tun würden. Schließlich gingen wir zur Voliere und spielten mit den Vögeln.«
    Ich nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank und trank. Reiko zündete sich die nächste Zigarette an. Die Katze schlief fest in ihrem Schoß.
    »Sie muß von Anfang an fest entschlossen gewesen sein. Deshalb war sie so munter und fröhlich und sah so gesund aus. Diese Entscheidung muß eine ungeheure Erleichterung für sie bedeutet haben. Wieder in der Wohnung, sortierten wir weiter ihre Sachen aus und verbrannten das, was sie nicht mehr brauchte, in einer Metalltonne im Garten. Dazu gehörten auch das Heft, in dem sie Tagebuch geführt hatte, und alle Briefe. Auch Ihre Briefe, Herr Watanabe. Das kam mir dann doch etwas merkwürdig vor, und ich fragte sie danach. Bisher hatte sie Ihre Briefe immer sehr sorgfältig aufbewahrt und sie x-mal gelesen. ›Ich lasse alles hinter mir, damit ich ein neues Leben anfangen kann.‹ Ich muß zugeben, daß sie mich mit diesem Argument überzeugte. Es hat ja auch eine gewisse Folgerichtigkeit. Ich habe ihr so gewünscht, daß sie gesund und glücklich wird. Und sie sah so lieblich aus an jenem Tag. Hätten Sie sie doch nur sehen können!
    Zum Abendessen gingen wir wie üblich in den Speisesaal. Anschließend nahmen wir unser Bad und machten eine gute Flasche Wein auf, die ich für besondere Anlässe wie diesen reserviert hatte. Wie immer spielte ich ihr auf der Gitarre ihre Lieblingsstücke vor, Norwegian Wood und Michelle. Wir fühlten uns richtig wohl, schalteten das Licht aus, zogen uns aus und gingen zu Bett. Es war eine sehr schwüle Nacht, und obwohl das Fenster offenstand, rührte sich kein Lüftchen. Die Nacht war pechschwarz, und die Zikaden kreischten ohrenbetäubend. Der Geruch von Sommergras stand erstickend im Zimmer. Auf einmal begann Naoko von Ihnen zu erzählen. Davon, wie Sie mit ihr geschlafen haben. In allen Einzelheiten. Sie schilderte mir ausführlich, wie Sie sie auszogen, ihren Körper berührten, in sie eindrangen, wie naß sie selbst wurde und wie wunderschön es war. Warum sie mir das jetzt auf einmal erzähle, fragte ich sie, denn bis dahin hatten wir eigentlich nie so direkt über Sex gesprochen. Natürlich haben wir innerhalb der Therapie
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