Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt
Autoren: Tanja Langer
Vom Netzwerk:
im Grunde vor Neugier und griff schon nervös nach meinen Zigaretten in der Jackentasche.
     Wir setzten uns am Marheinekeplatz in ein Café, das österreichische Spezialitäten zu freundlichen Preisen anbietet. Wir bestellten
     zwei große Braune und ich konnte Heumann etwas ruhiger in Augenschein nehmen. Das Sonnenlicht fiel schräg in die Platanen,
     ein schöner Spätsommernachmittag, er trug ein einfaches hellgraues Jackett, ein lichtblaues Hemd und braune Schuhe, ein ausgewähltes
     Modell Annodunnemal. Jemand, der wenig Geld hat, aber es nicht merken lässt, gepflegt, sympathisch. Ich wette, er kauft seine
     Schuhe auf dem Flohmarkt, aber gute Schuhe, die er dann blank wienert und in Schuss bringt. Die ganze Zeit ratterte ein Satz
     durch meinen Kopf: Heumann kannte Eva. Heumann kannte Eva. Eva, Eva.
    Erinnern Sie sich an Sembicki? fragte Heumann und setzte seine Kaffeetasse auf den Unterteller. Ich war heute bei seiner Beerdigung.
    Oh, sagte ich, tut mir leid. Ich zog die Stirn in Falten. Sembicki?
    Der Konzeptkünstler, der mit Gegenständen vom Bau Kunst in den Straßen machte, mit Zink – und Plastikrohren, oder Bauzäunen,
     erläuterte Heumann.
    Ach, sagte ich, langsam dämmert es. Ich sah einen hageren Mann, der wie ein Schlot rauchte und immerzu wahnsinnig schöne Sätze
     sagte.
    |26| Lungenkrebs, sagte Heumann. Ich hustete wie zur Bestätigung, und wir mussten beide lachen.
    Schlimm, schlimm, sagte ich, aber ich kann es auch nicht lassen.
    Und ich zündete mir die nächste Zigarette an.
    Wir redeten drei Stunden lang, um uns herum spielende Kinder, Kaffee trinkende Mütter, junge und ältere Menschen, die, wie
     wir damals, die Muße haben, in Cafés zu sitzen. Ein Radfahrer hatte neben uns sein Rad an den Stuhl gelehnt und las die Zeitung.
     Alle drei Minuten kam jemand mit einem Hund vorbei.
    Ich habe ja nur so viel Zeit, entfuhr es mir, weil ich ein Abendarbeiter bin.
    Ich auch, sagte Heumann und grinste verschmitzt. Ich registrierte das Graugrün seiner Augen und die feine Narbe über den schmalen
     Lippen.
    Heumann und ich klapperten alle Stationen und Leute ab, die wir früher gekannt hatten. Er erzählte mir, was aus Theo Hölt
     geworden war, nachdem er seinen riesigen Erfolg ausgereizt und sich mit seinem Galeristen zerstritten hatte. Er erzählte,
     dass Horchmann soff, aber weiterhin Sammler fand, die ihm seine Bilder abkauften. Bilder, die auf den Markt gehörten, wie
     Heumann meinte, weil sie etwas zu sagen hätten; Bilder, die keine Öffentlichkeit fanden, weil auch Horchmann sich mit dem
     Galeristen überworfen hatte.
    Die jüngeren Künstler sind ganz anders, sagte Heumann, sie benehmen sich besser. Sie sind mit dem Markt groß geworden und
     können sich gut darin bewegen. Na ja, fügte er hinzu, auch nicht alle.
    Das gilt nicht nur für Künstler, sagte ich. Viele aus meiner Generation hängen in der Luft.
    Und in meiner bleiben sie darin hängen, sagte Heumann.
    Wir nickten bedächtig und bestellten ein Bier.
     
    |27| Heumann hat es offenbar auch nicht leicht. Er hangelt sich mit Lehraufträgen durch, Beratungen für Künstler, Texten für Kataloge,
     Aufsätzen. Es gab eine Zeit, als man in Berlin von solchen Dingen gut leben konnte.
     
    Alles kommt wieder, seit ich ihn getroffen habe. Eva kommt wieder. Ich komme wieder, ich selbst als junger Mann. Robert. Der
     Geruch unseres Lebens damals und der meines jetzigen Lebens werden durcheinandergewirbelt, Linden und Kohle, griechisches
     Essen vom Restaurant in meinem Haus unten und meine ewigen Zigaretten; und die Bilderfetzen dieser Leben lassen immer neue
     Muster entstehen, schnell, wechselnd, bunt, und plötzlich habe ich in diesem Durcheinander auch wieder Irene im Ohr, die mich
     im vergangenen Sommer verlassen hat. Keine drei Jahre sind wir zusammen gewesen.
    Du bist gar kein richtiger Mann, hatte sie wütend gesagt und angefangen, ihre Sachen zu packen. Ich hatte geahnt, dass dies
     geschehen würde, aber mich weggeduckt und stillgehalten. Schmerz und Schmutz, buchstabierte ich immerzu, wie ein Irrer; in
     Zeitungen, auf Werbetafeln, überall las ich diese Wörter, Schmerz und Schmutz.
    Ich weiß gar nicht, was ein richtiger Mann sein soll, hab ich geantwortet.
    Aber ich hatte natürlich sofort kapiert, was Irene darunter verstand. Einen Typen, der
cool
lächelte und sie immer ein bisschen im Ungewissen hielt. Der nach Erfolg unter den Achselhöhlen roch. Ein bisschen nach Alphatier.
    Irene war und ist so unerträglich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher