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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt
Autoren: Tanja Langer
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Lebensabschnitt, der nun vorbei war: die Zeit vor
     Eva.
    Ich zog zurück ins Haus meines Großvaters. Er hatte einen flachen Bungalow der zwanziger Jahre im grünen Dahlem, nicht weit
     entfernt von der Freien Universität, was praktisch für mich war, weil ich dort studierte.
    Ich hatte mein eigenes Reich bei ihm. Ein großes, wenn auch nicht sehr helles Zimmer im Souterrain, mit separatem Eingang,
     Zentralheizung, einem eigenen kleinen Duschbad und dem frischen Geruch der Waschküche im Raum nebenan.
     
    Opa hat mich gleich am Anfang vor Eva gewarnt. Er hatte sie gern, man verstehe das nicht falsch, aber er sagte: Sie ist kein
     Mädchen, das bei einem bleibt. Sie wird dich unglücklich machen.
    Als er es sagte, war es zu spät; es war sowieso zu spät; im Grunde war es schon am Telefon zu spät gewesen. Was für ein Glück!
    Wir trafen uns etliche Male, bevor wir zum ersten Mal miteinander schliefen. Das gefiel mir gut. Sehr gut sogar. Zum einen
     war ich schüchtern und bin es noch, zum anderen genoss ich die Aufregung. Es konnte gar nicht lange genug dauern, mir vorzustellen,
     was da alles auf mich zukam. Ich war vollkommen |19| glücklich damit beschäftigt, Evas Gesicht kennenzulernen, und ihre leichten, wechselhaften Bewegungen; wie sie die Nase kraus
     zog, wenn sie grinste, wie sie die Nüstern blähte wie ein Pferdchen, wenn sie unternehmungslustig war, und wie schwer sich
     ihre Lider auf die Augen legten, wenn ein Anflug von Melancholie sie überkam. In Evas Augen lernte ich die Farbe Grün kennen,
     mit grauen und blauen Nuancen, mit lichten Momenten und braun-schwarzen.
    Es war Winter, und Eva schleppte mich auf die Schlittschuhbahn. Ich hatte noch nie auf dem Eis gestanden. Sie hat es mir beigebracht,
     geduldig, lachend, und zur Belohnung gab es heiße Küsse. Sie flog über das Eis, sie trug eine kobaltblaue kurze Jacke und
     ihren weiten grauen Rock. Ihre grünen Augen schimmerten dunkel wie das Wasser unter der Eisschicht an den Rändern des Wannsees,
     zu dem wir auch einmal fuhren; er war in diesem Jahr zugefroren. Kaum standen wir am See, fing sie an zu weinen. Aus heiterem
     Himmel. Alles glitzerte. Ich fragte, was los wäre, aber sie schüttelte den Kopf und lehnte sich nur an mich. Später gab es
     immer wieder solche merkwürdigen Ausbrüche.
     
    Ich habe nie wieder mit einer Frau so geschlafen wie mit Eva. Eva war schamlos, hemmungslos, kindlich und entwaffnend. Sie
     küsste mich, als wollte sie mit ihrer Zunge bis in meinen Kopf und in mein Herz und meine Lungen, zu den Zehen hinunter und
     wieder hinauf. Mir wurde jedes Mal schwindlig davon, und ich wollte jedes Mal mehr. Sie zeigte mir, was zwei nackte Menschen
     miteinander tun können und was ich bis dahin nicht gekannt hatte, und sie wollte immer genau wissen, was ich mochte. Sie war,
     bei allem Ungestüm, auf liebevolle Weise aufmerksam. Ich hatte tief sitzende Schamgefühle und genierte mich, doch sie nahm
     mir meine Scheu. Ich liebte die Biegung ihres Nackens, ihre runden Oberarme, die knubbelige Form ihrer Knie, die dunklen Schatten
     auf ihrer weißen Haut, die Härchen auf ihrem Schamhügel, die in einer schmalen |20| Linie zu ihrem Bauchnabel hinaufliefen. Ihren Geruch nach feuchtem Waldboden und Seife. Mein eigener Körper wurde geschmeidig,
     atmete auf; mit Eva zusammen fühlte ich mich sogar schön. Meine Haut, die ich immer grün fand, bezeichnete sie freundlich
     als
oliv
. Ich überließ mich ihr vollkommen. Vielleicht wurde mir das zum Verhängnis. Aber das ist nur so ein Heute-Gedanke.
     
    Natürlich wickelte Eva meinen Großvater, seinen Bedenken zum Trotz, um den Finger. Ich nahm sie mit, an einem Sonntag, zum
     Mittagessen, wir kannten uns vielleicht vier oder fünf Wochen. Opa hatte für uns gekocht, und Eva spielte das wohlerzogene
     Mädchen. Sie senkte ihre dichten Wimpern und schlug sie mit charmantem Lächeln wieder auf; sie lobte das Essen und beantwortete
     Opas Fragen nach ihrem Studium. Bei der Frage nach ihren Eltern schüttelte sie kurz den Kopf und wechselte das Thema. Sie
     stürzte ein Glas Weißwein herunter, an dem sie bis dahin nur vorsichtig genippt hatte, und redete immer schneller. Sie redete
     ein bisschen irre, erzählte von ihrem Studium der Kunstgeschichte, vor allem aber von den Künstlern, die sie mit ihrem Seminar
     für Gegenwartskunst regelmäßig besuchte, lachte dazwischen über ihre eigenen Witze und warf den hochroten Kopf in den Nacken.
     Sie stocherte im Essen, das sie
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