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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt
Autoren: Tanja Langer
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dazu.
    |16| Zuverlässigkeit ist wichtig für mich. Ich habe Opa nie warten lassen, und wenn es einmal später wurde, habe ich ihn immer
     angerufen. Obwohl es damals keine Handys gab.
    In der Freundschaft mit Robert wurden wir alle zu anderen. Vielleicht holte er nur etwas aus uns heraus, von dem wir zuvor
     nichts gewusst hatten. Nur einer kam dabei auf Abwege, Thilo; er fing an zu klauen und dann nahm er Drogen. Erst wich er Robert
     nicht von der Seite, dann hasste er Robert. Ich kam nie dahinter, was zwischen den beiden eigentlich gelaufen war. Robert
     blieb letztlich immer geheimnisvoll und undurchschaubar. Mich nannte er den »Professor«, oder den
»
Philosophen«. Der wurde ich auch, mit allen Konsequenzen, mit Kant und Voltaire und vielen Zitaten im Kopf.
     
    Ich denke an Eva, und schon drängt sich Robert ins Bild. Das ist ja bezeichnend. Andererseits: Ein Schritt vor, zwei zur Seite,
     einen halben zurück – ich neige zu komplexen Denkfiguren und nehme mich nicht allzu ernst. Meine Kollegen halten das für ausgemachte
     Raffinesse. Ich habe schon manchen Prozess damit gewonnen. Es irritiert die Leute. Wie sagt Hegel so schön: Der Umweg ist
     manchmal der direkteste Weg. Dabei versuche ich nur, genau zu sein.
     
    Eva und ich hatten uns bei »Leydicke« in der Mansteinstraße verabredet, nicht weit von den Yorck-Brücken. Ich bin seit hundert
     Jahren nicht mehr dort gewesen, eine uralte Kneipe, in der es schauerlich süße Fruchtweine gibt, die abgrundtief besoffen
     machen. Damals, in den Achtzigern, fanden wir sie schön schräg, mit den hohen Holzregalen und den runden Stehtischen.
    Ich habe halblange dunkle Locken, hatte sie am Telefon gesagt, und du?
    Ich auch, sagte ich, aber kurze.
    Mein Haar ist hart wie Strohwolle und kräuselt sich wie |17|
Bimbolocke
, so haben sie mich früher gehänselt, schrecklich, ich trug es schon immer sehr kurz deswegen. Eva grub oft ihre Finger hinein
     und sagte, ich solle es wachsen lassen. Ein bisschen wenigstens, sagte sie und faltete die Hände wie ein kleines Mädchen.
     Meine Augen sind hellbraun, sie sind vielleicht das Schönste an mir. Mein Gesicht ist länglich und mein Mund viel zu mädchenhaft,
     meine Haltung ist nicht besonders, ich neige dazu, den Rücken vorzubeugen, ich bin dünn und werde mit dem Älterwerden auch
     nicht kräftiger. Eva mochte mich, wie ich war; sie streichelte oft meinen Buckel. Kaum kannten wir uns etwas näher, zog sie
     meine Hosen an. Zu meinen altmodischen Hemden trug ich klassisch geschnittene Stoff- oder Anzughosen, auch sie von meinem
     Vater; es war wohl meine Art, ihn mit mir zu nehmen. Ich trug seine alten Anzüge aus den sechziger Jahren, die mittlerweile
     wieder modern geworden sind, zu einer Zeit, als alle sich darüber lustig machten. Alle außer Eva. Eva war auch von meinen
     Budapester Schuhen begeistert, handgearbeitet, aus gutem Leder, fürs ganze Leben. Ich wünschte mir oft, Eva wäre wie diese
     Schuhe. Fürs ganze Leben.
     
    Als Eva bei »Leydicke« hereinkam, erkannte ich sie sofort. Es war ein schöner, kalter Wintertag, sie kam in einem dieser etwas
     schäbig wirkenden Wildledermäntel, die innen mit Kunstfell gefüttert sind, mit roter Mütze und blauem Schal. Sie trug hohe
     Stiefel und unter dem offenen Mantel einen grauen Rock mit einem bunt gemusterten, dicken Pullover. Sie zog die Mütze ab und
     schüttelte ihr Haar. Es war auf Kinnlänge geschnitten und kraus wie mein eigenes. Ich liebte sie sofort.
    Sie hatte inzwischen eine Ein-Zimmer-Wohnung im Wedding gefunden. Mit Außenklo, sagte sie, und ich erzählte ihr begeistert
     von meinen Wanderungen durch diesen Bezirk. Ihre weiße Haut war von der Kälte gerötet; ihre Augen blitzten grün; ihr Lachen
     war übermütig. Wir redeten und tranken |18| Obstwein, Aprikose, Schlehe, Himbeere, bis morgens um vier, und als wir auf die Straße traten, schneite es. Wir küssten uns,
     leicht schwankend, und dann brachte ich sie nach Hause in den Wedding, den ich so mochte. Es war die glücklichste Busfahrt
     meines Lebens. Die Lichter der nächtlichen Straßen leuchteten zwischen den wirbelnden Schneeflocken.
     
    Kurz danach gab ich die Wohnung unserer ehemaligen WG auf. Die Vorstellung, sie mit anderen Leuten zu teilen, vor denen womöglich
     am Morgen eine nackte Eva durch den Flur ins Bad tänzeln würde, war mir unangenehm. Für mich allein wäre sie zu teuer gewesen,
     die Jungs würden nicht wiederkommen, und irgendwie gehörte sie zu einem
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