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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt
Autoren: Tanja Langer
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sagte sie und lachte. Er sieht jeden Tag anders aus.
    In den Wohnungen ringsum gab es oft Geschrei. Wir lagen in Evas Bett und lauschten. Als wäre es verboten, flüsterten wir unsere
     Kommentare und dachten uns Geschichten zu den Leuten aus. Das Zimmer war weiß gestrichen, die Dielen rotbraun; eine Arbeitsplatte
     auf zwei Böcken lehnte sich gefährlich zur Doppelfenstertür des Balkons hin; an der hinteren Wand des Raumes wartete Evas
     Bett, Matratze auf Holzkasten, die handgenähte grüne Decke aus Rohseide vergnügt darübergeworfen. Daneben auf dem Boden stand
     ihr
Ghettoblaster,
ein schwerer Radiorekorder. Gleich morgens griff sie danach, suchte ihren Sender im Radio oder schob eine Kassette mit selbst
     aufgenommener Musik hinein. Überall lagen Kassetten, Schallplatten, Zettel, Stifte, Armreifen und Ketten, eine zärtliche Sorglosigkeit.
     Aus Obstkisten hatte sie ein Bücherregal gebaut, auf dem auch ein einfacher Plattenspieler mit eingebautem Lautsprecher stand.
     Das Schönste an diesem Raum war der gelbe hohe Kachelofen mit dem weißen Zierdreieck obenauf. Er wurde so heiß, dass es für
     die Küche mitreichte. |33| Eva wusch sich am Waschbecken in der Küche, das heiße Wasser kam aus einem wacklig angebrachten Boiler, Baujahr circa ihr
     eigenes. Sie füllte das Becken mit schaumigem Wasser und ließ den nassen Waschlappen auf ihre Haut klatschen, bis der blaue
     Boden voll Pfützen stand. Sie lachte und quietschte, und dann wollte sie mich waschen. Ich kam mir etwas albern dabei vor.
     Damals dachte ich wohl noch, ein Mann tut so was nicht. Wenn ich aber nicht dachte –
     
    Nach der Schule, bevor ich mit den Jungs zusammengezogen war, hatte ich in einer ähnlichen Wohnung gelebt, im zweiten Hinterhof,
     in Moabit. Unter mir lebten zwei Frauen zusammen, die ich sehr oft zanken hörte. Es war schrecklich, wie ihre Stimmen in die
     Höhe schießen konnten, abwechselnd mit einem völlig übergeschnappten Lachen. Eines Tages, es war Sommer, klingelte es Sturm
     an der Tür, ich öffnete, die eine der beiden rannte an mir vorbei und – sprang aus meinem Fenster. Noch wochenlang sah man
     den Blutfleck im Hof; die Frau hatte überlebt; ihr blieb lediglich ein leichtes Hinken zurück. Als sie noch im Krankenhaus
     lag, kam ihr Vater und räumte die Wohnung aus. Im Treppenhaus blieb er vor mir stehen und sagte: Sie hätten besser auf sie
     aufpassen müssen.
    Der Mann hatte etwas so Erstarrtes in seinen Augen und so kräftige Armmuskeln, dass ich ihm unwillkürlich auswich. Als er
     sich grob an mir vorbeidrängte, obwohl ich mich flach an die Wand drückte, schlug mir sein schlechter Atem entgegen. Nur stumm
     traute ich mich, gegen ihn aufzubegehren: Wie kannst du mir so etwas sagen? Du bist doch die Ursache für die ganze Geschichte!
     Ich korrigierte mich wie üblich, monokausale Erklärungen waren mir schon immer ein Gräuel, doch der Satz blieb in meinem Gedächtnis
     so stehen: Du bist schuld.
    Die Frau, deren Namen ich vergessen habe, fand bald nach ihrer Rückkehr eine Parterrewohnung im Nachbarhaus; ich selbst zog
     ebenfalls um. Später sah ich sie manchmal auf dem |34| Flohmarkt, wo sie selbst gemachte Puppen verkaufte. Ich fragte mich, ob sie hin und wieder eine von ihnen aus dem Fenster
     warf.
     
    So viele Frauen habe ich übrigens gar nicht gehabt.
    Seit ich vor zwei Wochen mit Heumann sprach, ist mir eingefallen, dass ich schon früher manchmal an Eva gedacht habe, ganz
     still, für mich allein, so wie ich an meine verstorbenen Eltern oder an meinen verstorbenen Großvater denke. An Abenden, an
     denen der Mond besonders dick und gelb zwischen den Häusern hängt, oder wenn es leise schneit und die Stadt ungewöhnlich still
     wirkt.
    Ich bin allein. Ich habe keine Geschwister, keine Cousins, keine Kinder.
    Dass ich keine Kinder habe, bedauere ich. Die Frauen wollten keine Kinder mit mir, weil ich kein richtiger Mann bin. Von so
     einem wollen sie natürlich kein Kind. So einen richtigen Mann brauchen sie, der weiß, wo es langgeht, und es den Kindern zeigt.
     Es könnten ja Söhne sein; und Söhne müssen später Männer werden; und wenn da zu Hause so eine müde alte Socke rumhängt, ist
     ihre Zukunft gefährdet, so ein Typ, der den Abwasch macht und niemals laut wird und beim Sex gern abwartet.
    Alles Quatsch, würde Eva sagen, der gefährdet doch höchstens ihr Selbstbild. Ist doch gut, wenn ein Mann sich um die Kinder
     kümmert und sie auch mal bemuttern kann.
    Bemuttern
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