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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt
Autoren: Tanja Langer
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hatte ich noch
     nie etwas gehört.
    Er hat rituellen Selbstmord begangen, sagte Eva,
Harakiri,
als er mit den japanischen Normen zu sehr in Konflikt geriet. Er war homosexuell, das war auf den Tod verboten.
     
    Während Eva bei diesen »Sitzungen« aufblühte, beunruhigte mich zunehmend etwas an ihnen. Ich hatte oft das Gefühl, mich verteidigen
     zu müssen, ohne genau zu begreifen, weshalb, und obwohl mich nie auch nur ein Mensch dazu veranlasst hätte. Ich ging mit,
     ich versuchte zu begreifen, doch es wollte mir nicht in den Kopf, weshalb Maler sagten, sie könnten nicht malen, und es gerade
     deshalb täten. Ich hörte ratlos Schlagworte wie
wir sind geniale Dilettanten
(sie schrieben es
Dilletanten
!) und dass es eine ganze Ausstellung mit dem Titel »Ich kann nicht malen« gegeben hatte. Eva redete wie ein Wasserfall, um
     mir zu erklären, dass die Künstler eine Wirklichkeit |40| einzuholen suchten, die selbst so viele künstliche Elemente aufwies; dass sie die Alltäglichkeit in die Kunst bringen wollten,
     wenn sie Bilder aus Stoff machten oder Wörter auf die Leinwand schrieben. Dass sie von sich sagten:
Heute sind wir so und morgen anders
. Kippenberger war ein aufsteigender Stern damals; er prägte den Spruch »durch die Pubertät zum Erfolg«, was ich immerhin
     witzig fand; und heute ist er tot.
    Ich wollte immer der gleiche sein, und ich stieß an meine Grenzen, zu verstehen, was erstens diese Maler trieb und was zweitens
     meine Freundin daran so in Begeisterung versetzte.
     
    Ich fand es erholsam, wenn wir keine Vorlesungen oder Seminare hatten. Wir saßen in Evas kleiner Wohnung zusammen und arbeiteten.
     Sie lag bäuchlings auf dem Boden oder auf dem Bett; mir überließ sie den Schreibtisch, oder wir saßen beide daran. Ich beschäftigte
     mich mit den Klassikern der Demokratiebildung, und Eva las dekonstruktivistische Texte zur Kunst. Wir diskutierten oft über
     die Angriffe gegen die Vernunft und den Sinn der Aufklärung. Eva zeigte allerdings einen hartnäckigen Widerstand gegen alles
     Theoretische, was ich sehr bedauerte.
    Manchmal stand sie wie ein Kind mit schief gelegtem Kopf irgendwo am Straßenrand und dachte angestrengt über etwas nach. Ihre
     grünen Augen bekamen eine dunklere Farbe, ihr Mund verlor seinen leichten Trotz und wurde fragend, fast durchscheinend wirkte
     sie, und ich hielt inne und sah sie an. Dann konnte sie überraschend aufblicken, die Lippen umstülpen und ihre Nase frech
     in die Luft strecken.
    Sie war in ihrem Denken sprunghaft und folgte ihren Intuitionen; ich machte mir für alle Arbeiten einen Plan und hielt mich
     für einen durch und durch rationalen Menschen.
    Ich erklärte Eva oft, dass ich am liebsten unpersönlich wäre, oder, wie ich es nannte:
distant
. Sie schüttelte darüber den Kopf. Ich bin genau das Gegenteil, sagte sie, und ich will rauskriegen, wer ich bin.
    |41| Was machte es, dass wir so verschieden waren? Wir liebten uns, wir lasen, machten Notizen und schrieben. Ich lernte zu subsumieren
     und zu systematisieren und Fälle zu diskutieren, Schadensersatzfragen bei vorgetäuschtem Kündigungsgrund, Nachbarschaftsstreitigkeiten
     über Wegerechte, Banküberfälle, bei denen etwas schiefging, Dinge aus dem richtigen Leben eben. Ich schlug mich mit der »herrschenden
     Meinung« herum, der gängigen Deutung dieser Fälle, kurz »hM« genannt, und versuchte, das Geld für den Korrepetitor, der mich
     einmal wöchentlich drillte, nicht zu verschwenden.
     
    Aber wir lernten nicht nur. Wir gingen ins Kino, in dem Eva oft heulte, und besuchten Museen, mit denen sogar ich etwas anfangen
     konnte. Wir fuhren nach Ost-Berlin, das ich bis dahin gemieden hatte.
    Typisch, sagte Eva, sei nicht so ignorant! Man muss doch wissen, was da los ist!
    Kein Westberliner, den ich bis dahin gekannt hatte, mochte die
Zone
. Eva dagegen sagte, das ist hier außerordentlich spannend, und schleppte mich durch die Straßen rund um den Alexanderplatz,
     durchs alte Nikolaiviertel, die Frankfurter Allee hinauf bis zum Prenzlauer Berg; bis nach Pankow und Weißensee fuhren wir
     mit der Tram; ich immer leicht angespannt, Eva neugierig und konzentriert. Eva machte mich auf die gebrochenen, stumpfen Farben
     der Trabis aufmerksam. Das sahnige Gelb eines Wartburg, das matte Blauviolett eines Lada. Die Maler hier benutzen auch solche
     Farben, sagte sie, es sind Industriefarben, billiger als unsere, anders, sie haben einen eigenen Reiz, findest du nicht?
    Ich fand alles
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