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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt
Autoren: Tanja Langer
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an. Manchmal warf ich einen Aphorismus der französischen Moralisten dazwischen,
     wie den von Chamfort, der einmal sagte:
Der Verkehr zwischen Mann und Frau gleicht dem der Europäer in Indien. Es ist ein kriegerisches Geschäft.
Darüber amüsierten wir uns ausgesprochen und ausgiebig. Heumann freute sich über meine philosophische Halbbildung und ich
     mich über seine Vorurteilsfreiheit. Wie sich herausstellte, hat er ebenso viel Glück mit den Frauen wie ich.
    Nachdem wir acht Stunden lang miteinander geredet hatten und die Hirschgeweihe an den holzgetäfelten Wänden um uns herum zu
     wandern begannen, sagte ich: Ich bin jetzt in der Mitte meines Lebens angelangt, und ich sehe drei Möglichkeiten: 1.   Ich verzichte auf immer auf den Umgang mit Frauen, weil ich ein weiteres Verlassenwerden nicht ertrage. 2.   Ich bringe mich um, weil die Vorstellung, ohne eine Frau zu leben, zu traurig ist. 3.   Ich finde heraus, was ein richtiger Mann ist und warum ich keiner bin, und bringe mich dann um. Dann habe ich wenigstens was
     kapiert.
    Dann sag aber vorher Bescheid, sagte Heumann mit schwerer Zunge. Ich wüsste auch gern, was das ist. Vielleicht ist es ja –
    Wir lachten uns halb tot und torkelten nach Hause, ein Stück gemeinsam, dann trennte sich unser Weg.
    Am nächsten Morgen fiel mir auf, dass wir über die Person, die uns eigentlich verband, gar nicht gesprochen hatten. Eva.
     
    Seitdem denke ich um so heftiger an sie, an meine Geschichte mit Eva. Ich lege meine ältesten Platten auf und sehe alte Fotos
     an.
It is summer in Siam
, singen die Pogues, und ich denke an Schneegestöber. Ich höre Joni Mitchell, Suzanne Vega und Tom Waits, Platten, die ich
     mir nach Eva gekauft hatte, um die Erinnerung zu bewahren, und bei jedem Lied fällt mir etwas anderes ein, in Schleifen, Spiralen
     und Refrains, in meinem altvertrauten Schritt: vor, zur Seite, zwei zurück...

|31| 2
    Die beiden ersten Monate mit ihr waren wolkenlos. Wir verbrachten viel Zeit miteinander. Eva studierte Kunstgeschichte, an
     der Freien Universität in Dahlem wie ich, und an der Hochschule der Künste am Steinplatz in Charlottenburg. Sie fuhr mit der U-Bahn hin und her, oder, als es wärmer wurde, mit dem Fahrrad. Ich war meistens mit meinem blauen
DAF
unterwegs, den Opa mir zum achtzehnten Geburtstag geschenkt hatte. In der U-Bahn zeichnete Eva; ich entdeckte ihre Skizzen zufällig, als einmal ein paar Blätter aus ihrer Tasche fielen.
    Eva hatte ein Jahr in Paris Französisch und Kunstgeschichte studiert, Grundlagen der Moderne, wie sie sagte, Ingres, Manet,
     Cézanne. Sie hatte nebenbei unregelmäßig einen Zeichenkurs besucht, »Anatomie für Künstler«. Anfang Januar hatten wir uns
     kennengelernt; sie war mitten im Semester zurück nach Berlin gekommen. Ich hatte Heimweh, sagte sie; später deutete sie etwas
     von einer gescheiterten Liebesgeschichte an. Ich wollte gar nichts davon wissen. Zu sehr wünschte ich mir, unsere Geschichte
     wäre für uns beide die erste. Sie gab mir auch genau dieses Gefühl. Der erste und einzige zu sein.
     
    Wenn sie in Dahlem an der Uni war, trafen wir uns mittags in der Mensa oder auf einen Kaffee zwischendurch. Der Winter war
     kalt und klar.
    Ich mag das Paargetue nicht, sagte sie. Wenn wir an der Uni zusammen essen oder uns sehen, will ich kein Gesumse, hörst du?
    Ich hörte, ich nickte, was hätte ich tun sollen. Es fiel mir schwer, denn wenn ich Eva auf dem Gelände traf oder zufällig
     über den Weg lief, hätte ich sie natürlich am liebsten umarmt und geküsst. Ich hätte mich gern mit ihr
gezeigt.
Im Grunde war es überflüssig. Die anderen merkten es ohnehin. Spätestens als Eva anfing, meine Hemden und Hosen zu tragen.
     Und |32| als sie eines Tages kam und sich die Haare so kurz abgeschnitten hatte wie meine. Sie grinste mich an und nahm meine Hand.
    Ich bin du und du bist ich, sagte sie.
    Oh nein, dachte ich, so ist es sicher nicht.
     
    Eva wohnte in einem heruntergekommenen, hellhörigen, lauten Haus. Im Hausflur tanzten Stuckfiguren unter dickem Staub, die
     vor langer Zeit wohl einmal etwas bürgerlichen Anstrich in ein proletarisches Haus hatten bringen sollen. Die Stufen waren
     ausgetreten und schief, von den Wänden blätterte die Farbe ab. Auf jeder halben Treppe war ein Klo in einem engen Verhau;
     zog man an der Kette, drohte der Spülkasten auf einen herunterzufallen. Der Blick aus Evas Fenster ging auf eine schartige
     Brandmauer.
    Aber da oben sieht man den Himmel,
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