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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land
Autoren: West Morris L.
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werfen, aber er hielt sich sofort zurück, als er sich darauf besann, daß er ein Gejagter war, der keine Waffe außer dem abgebrochenen Schaft besaß. Er legte die gezackte Spitze neben sich auf den Felsen und ging daran, mit den aus dem Hemd gerissenen Streifen die Wunde auszuwaschen und zu säubern. Er überlegte, ob er nicht selbst im Fluß baden sollte, aber dann fielen ihm noch rechtzeitig die Krokodile ein, die es im Wasser gab und die von seinem Blut angelockt werden könnten. Plötzlich stieg eine erneute Angst in ihm auf: Blutvergiftung. Die Eingeborenenwaffe war bestimmt mit Bakterien verseucht, und er befand sich, krank und gehetzt, tageweit entfernt von ärztlicher Hilfe, falls er sie überhaupt jemals erreichen würde.
    Lange saß er sinnend über diesen bitteren Gedanken, bis er sich an etwas aus früheren Tagen erinnerte. Er hatte beobachtet, wie die Eingeborenen auf der Farm Verletzungen mit Spinnenweben verkleistert hatten, und irgend jemand hatte von einem Zusammenhang zwischen diesem klebrigen Gewebe und Penicillin gesprochen. Er schaute sich um und entdeckte zwischen den Pandangwurzeln ein großes Netz mit einer riesigen schwarzen Spinne in der Mitte.
    Mit dem Speerschaft in der Hand kroch er langsam die Böschung hinauf und stieß gegen das Netz. Die Spinne ließ sich an einem einzigen Faden herab und lief davon. Dillon wickelte das zerstörte Gebilde oben um seinen Stock und zog es zu sich heran. Die klebrigen Fäden rollte er zu einer Kugel und stopfte sie mit einem Stofftampon aus seinem Hemd in die Wunde. Nach langen vergeblichen Versuchen gelang es ihm schließlich, einen festen Verband über der Schulter und unter der rechten Achselhöhle anzulegen. Vielleicht hielt er lange genug, bis die Blutung gestillt und die Wunde mit Schorf bedeckt war.
    Nachdem er das alles geschafft hatte, fühlte er sich schwach und hungrig und hoffnungslos allein. Er stand vor dem elementarsten aller Probleme – Überleben – und hatte kaum die leiseste Ahnung, wie das zu bewältigen wäre. Erst einmal mußte er essen, um seine erschöpften Kräfte zu erneuern. Wenn er schlafen wollte, mußte er sich wie ein Tier in einem sicheren Bau verkriechen. Er mußte seinen Verstand des 20. Jahrhunderts gegen die primitive Strategie der Jägernomaden ausspielen. Lauter einfache Aufgaben – bis er mit ihnen konfrontiert wurde.
    Wohin schwärmten die Fische? Mit welchem Köder kriegte man sie an die Angel? Und wie konnte man sie ohne Angel und Köder fangen? Wie konnte jemand Wild jagen, während er selbst von Menschen gejagt wurde? Welche Pflanzen waren eßbar und welche giftig? Wo konnte man sich vor Männern verstecken, die Zeichen aus dem Staub und der abgeblätterten Rinde eines Baumstamms lesen konnten?
    Da saß er nun, krank, schwindlig, zerschlagen, ließ die Hand im Wasser plätschern, und sein ganzes Elend wurde ihm richtig bewußt. Dieser ganze Landstrich gehörte ihm, aber von seiner Natur hatte er keine Ahnung. Die Geheimnisse der Gegend blieben ihm verborgen, und er ging herum wie ein Fremder. Alles schien ihm feindlich gesinnt zu sein, und er wußte, daß er inmitten dieses natürlichen Reichtums verhungern konnte.
    Er bemühte sich verzweifelt, sich all das wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, was er von den eingeborenen Viehhirten und den alten Buschmännern aufgeschnappt hatte, die monatelang nach der Sitte der Eingeborenen gelebt hatten. Es gab eßbare Raupen an den Baumstämmen, Lilienwurzeln in den Lagunen, Jamwurzeln und Erdnüsse in der Flußebene. Die zirpenden Grillen könnte er zu einer Mahlzeit zubereiten, vorausgesetzt, daß sein Magen sich nicht gegen die fremde Kost auflehnte. Schlangenfleisch war weiß und schmeckte süßlich, eine Eidechse war dagegen tranig und schwer verdaulich. Der Eingeborene jagte nicht bei Nacht. Er fürchtete sich vor den Geistern, die auf Felsen und Bäumen und in jedem Loch und jeder Höhle der uralten Erde hausten.
    Nur mühsam klaubte Dillon diese Erinnerungsfetzen zusammen, und mit Mühe hielt er sie fest.
    Hier gab es wenigstens Hoffnung – ein Hinweis auf die mögliche Rettung. Wenn er ein bißchen Nahrung sammeln könnte und ein Schlupfloch für den Tag fände, dann käme er vielleicht so weit zu Kräften, um bei Nacht weiterwandern zu können, wenn sich die Myalls um ihre Lagerfeuer drängten. Der Fluß könnte seine Straße sein, die Dunkelheit sein Freund. Aber die Zeit arbeitete gegen ihn. Er mußte schnell handeln. Jetzt konnten jeden Augenblick
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