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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land
Autoren: West Morris L.
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Beweggründen hatte Dillon jedoch recht gehabt: Die Eingeborenen hatten Ärger mit den weißen Eindringlingen, Furcht vor den Alten und vor der erbarmungslosen Rache des Polizisten. Aber das waren zweitrangige und an den Haaren herbeigezogene Erwägungen, es waren nüchterne Überlegungen, wie sie Männer anstellen, die in zwei Welten leben; mit einem Fuß im zwanzigsten Jahrhundert und mit dem anderen im uralten Stammesgeschehen voll magischer Zeichen, Zauberei und geheimer Symbole.
    Aus diesem Grund saß also Mundaru, Mann des Büffels, auf seinem hohen Felsen in der Sonne und plante Dillons Verfolgung und Ermordung.
    Anfangs wollte er ins Tal hinuntergehen und mit von dem Fleisch des großen Bullen essen, den die anderen jetzt über dem Feuer rösteten. Anschließend wollte er sich niedersetzen, um sich von seinen Stammesbrüdern seinen Körper mit Totemzeichen bemalen zu lassen, wozu Ocker, Holzkohle und das Blut des Bullen verwendet werden sollten. Sie würden dann gemeinsam das Opfer Dillon jagen und ihm den Rückweg abschneiden. Mundaru hatte das Bild in der Höhle gezeichnet, und Mundaru hatte auch den ersten Speer in die Flanke des großen Bullen geworfen, also durfte einzig Mundaru den Mann töten. Wenn er tot war, würden sie seine Leiche an einem geheimen Ort verstecken, wo ein Polizist sie niemals finden würde. Bis hierher war für Mundaru alles einfach und klar; aber im Innern fühlte er Unsicherheit und eine leise Furcht aufkommen.
    Der Angriff auf den weißen Mann war seine erste selbständige Tat außerhalb des Stammes gewesen, und dabei wurde er mit geheimen Gesetzen konfrontiert, die er nicht verstand. Er hatte schon einmal bei einer blutigen Stammesfehde getötet. Aber damals hatten die Alten ihn geführt und ihm geholfen. Sie hatten ihn an einen geheimen Ort gebracht und ihm den Stein mit dem Symbol des Opfers gezeigt, hatten ihm federgeschmückte Stiefel angezogen und ihn mit dem Speer, dem ein besonderer Zauber Kraft verlieh, zu seiner Mission gesandt. Nach vollbrachter Tat hatten sie ihn mit Ehren empfangen.
    Doch hier ging es um eine Totemsache und keine Stammesangelegenheit. Die Alten würden darüber in Streit geraten. Keine Magie würde ihm helfen, denn Willinja, der Zauberer, war ein Mann des Känguruhs, und außerdem haßte Willinja Mundaru, weil jener seine jüngste Frau begehrte. Sicher würde er in der Versammlung gegen ihn sprechen, und wenn er die anderen Männer auf seine Seite brachte, könnte ein schrecklicher Zauber über ihn kommen, an den er kaum zu denken wagte. Doch es war nun einmal geschehen, und er konnte nicht mehr umkehren. So wenig wie der ausgeflogene Same in die Hülse, so wenig kehrt der Speer in die Hand des Werfers zurück. Er konnte nur das Blut des Bullen trinken und darauf bauen, daß es ihm Kraft und Sicherheit verlieh.
    Weit im Süden sah er einen weißen Reiher flatternd und kreischend aufsteigen, und er wußte, daß der weiße Mann den Schutz der Bäume verlassen hatte und in das hohe Gras der Sümpfe übergewechselt war. Er stand auf, nahm seine Speere und die Keule und ging zum Lagerfeuer zurück, um mit von dem Fleisch des Bullen zu essen.
    Lance Dillon taumelte weiter. Durch den heftigen, brennenden Schmerz wurde ihm zeitweilig schwarz vor den Augen. Sein Kopf dröhnte, und er hatte ein gellendes Kreischen in den Ohren. Der Staub trocknete seinen Mund aus, und eiserne Fesseln schienen seinen Brustkorb zu umklammern. Sein ganzer Körper war gefühllos, und er kam sich wie eine mit Sägemehl ausgestopfte Puppe vor. Er versuchte die Dunkelheit wegzuwischen, aber der Schmerz stieg wie eine große Flut in ihm hoch, und seine Glieder wollten ihm nicht gehorchen. Er fühlte nur noch, wie er von einer schwarzen Welle in die totale Finsternis geschwemmt wurde.
    Eine Weile später öffnete er die Augen, tauchte aus der Ewigkeit wieder in Zeit und Raum zurück. Über sich erkannte er das grelle Blau des Himmels, um sich herum einen Wald von Grashalmen, aus dem er das Zirpen der Grillen und das Summen der Insekten vernahm. Das Brausen in seinem Kopf war einem leisen, ständigen Pochen gewichen, aber der Staub war noch immer in seinem Mund. Der Schmerz war nur wenige Zentimeter weit weg und durchfuhr ihn wie ein scharfes Messer, sobald er sich nur bewegte. Ruhig blieb er liegen, schloß die Augen und versuchte sich zu erinnern. Er war aus den Bäumen ins Freie gelangt. Sein Pferd stapfte vorsichtig durch das mannshohe Gras zur Flußebene hin, als es sich
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