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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land
Autoren: West Morris L.
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flog über seinen Kopf, ein dritter riß ihm den Hut herunter. Drei andere Burschen kamen zur Verstärkung angelaufen, und er wußte, daß sie ihn töten würden, wenn er da blieb.
    Stöhnend vor Schmerz riß er das Pferd herum und galoppierte zum Hohlweg zurück, noch das Gebrüll des sterbenden Bullen im Ohr. Aus der blutenden Wunde in seiner rechten Schulter baumelte der Schaft des Speeres.
    Die Myalls rannten bis zur Mündung des Hohlwegs hinter ihm her, dann machten sie kehrt, um den mächtigen Bullen zu schlachten, für den Dillon dreitausend Pfund bezahlt hatte.
    Während der ersten rasenden Minuten seiner Flucht war Dillon zu keinem zusammenhängenden Gedanken fähig. Wut, Schmerz und ein instinktiver tierischer Selbsterhaltungstrieb drängten ihn vorwärts durch die Schlucht, hinaus in den Schutz der Niaulibäume. Erst als das Tal eine Meile weit hinter ihm lag, ließ er die Zügel locker, so daß das abgetriebene Pferd seinen Kopf hängen lassen konnte, sank erschöpft im Sattel zusammen und versuchte, sich wieder in die Gewalt zu bekommen.
    Als erstes mußte er sich um die Wunde in seiner Schulter kümmern. Sie war tief und schmerzhaft und blutete stark. Der Speer hatte sich mit seinen Widerhaken in die Muskeln gebohrt, und der herausragende Schaft zerrte höllisch in der Wunde. In diesem Zustand würde er in der Mittagssonne die zwanzig Meilen nach Hause nicht schaffen. Doch um den Speer zu entfernen, wäre eine Operation nötig gewesen, die schlimmer gewesen wäre als die Wunde selbst. Er selbst konnte ihn nicht herausziehen, weil die Widerhaken Muskeln und Sehnen zerreißen würden. Der Schaft mußte abgebrochen und die Spitze vorsichtig durch seinen Körper so weit vorgeschoben werden, bis er sie vorne herausziehen konnte. Beim bloßen Gedanken daran wurde ihm übel. Er schloß die Augen und senkte den Kopf so tief, daß er beinahe den Sattelknopf berührte. Er wartete, bis der Schwächeanfall vorüber war.
    Abermals stand das Bild des Tales vor seinen Augen, und die Wut schien neue Kraft in seinen Körper zu pumpen. Mit dem Tod des Bullen waren all seine Hoffnungen und Pläne in nichts zerronnen. Er war fertig, geschlagen, dem Gerichtsvollzieher ausgeliefert … und das nur, weil eine Horde mordlustiger Myalls durch die Bezwingung des Herrn der Herde ihre Männlichkeit unter Beweis stellen wollte.
    Da durchzuckte ihn ein neuer Gedanke. Sie waren ja überhaupt nicht auf Fleisch aus! In den Grasniederungen gab es Wild in Hülle und Fülle, Känguruhs mit ihren Jungen und verwilderte Rinder. Es gab Gänse auf den Teichen und Fische im Fluß. Selbst der größte Eingeborenenstamm brauchte nicht zu hungern.
    Es steckte viel, viel mehr hinter dem Mord an dem König der Herde und dem Angriff auf ihn selbst. Das war reine Absicht gewesen – gerichtet gegen die Stammesältesten und gegen ihn. Ihm fiel ein, daß die Burschen alle jung gewesen waren, glatthäutig, leichtfüßig und angriffslustig. Die Älteren respektierten die Regeln der Koexistenz mit den Weißen. Sie kannten die Macht der Polizisten im Nordwesten: alles Einzelgänger, zäh und unnachgiebig, Männer, die einen Mann monatelang verfolgten, um ihn für ein Vergehen zu bestrafen. Stammesmorde waren eine Sache, aber Gewalt gegen die Weißen, das war etwas ganz anderes, und damit wollten die Alten nichts zu tun haben.
    Die Jungen dachten da anders. Sie verübelten den Alten ihre Autorität. Noch mehr brachte sie die Anwesenheit von Fremden in ihren angestammten Gebieten auf. Ihr Lebenswille pulste kräftig unter ihrer dunklen Haut, und sie mußten sich und ihren Frauen beweisen, daß sie die Männer waren, die eines Tages die Stammesversammlungen anführen würden. Sobald sich die erste Erregung gelegt hatte, würde ihnen klarwerden, was sie zum Unwillen ihrer Väter angerichtet hatten, und daß die Rache des weißen Mannes den ganzen Stamm treffen könnte. Sie würden deshalb ihre Untat listig zu verheimlichen suchen und würden versuchen, ihn zu töten und seine Leiche zu verstecken, damit niemand genau dahinterkäme, wie er gestorben wäre. Davon war Dillon überzeugt.
    Wieder kroch Angst in ihm hoch, sein Magen verkrampfte sich und sein Herz zog sich in kaltem Schauder zusammen. Instinktiv blickte er zum Hügel zurück. Eine einzelne Gestalt stand als Silhouette gegen den Himmel. Der Mann hatte in der einen Hand ein Bündel Wurfspeere, und mit der anderen beschattete er die Augen, um so die weite Ebene unter sich besser beobachten zu können.
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