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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land
Autoren: West Morris L.
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Dillon drängte das Pony noch tiefer in den Schatten der Niaulibäume und blieb stehen, um die Situation zu überdenken.
    Schon bald würden sie hinter ihm her sein und wie bei einem wilden Tier seine Spuren verfolgen: Hufabdrücke, Steinsplitter, einen gebrochenen Zweig und die Ameisen, die sich auf seinen Blutstropfen versammelten. Sie würden zwischen ihm und der Farm auftauchen, um ihm den Rückzug abzuschneiden, und wenn er ihnen zu entkommen versuchte, würden sie ihn nur um so schneller finden, denn ein ausgeruhter Buschmann konnte länger durchhalten als ein abgehetztes Pferd mit einem verwundeten, schwankenden Reiter im Sattel.
    Der Fluß war seine einzige Hoffnung. Er konnte seine Spuren verwischen, sein Pferd tränken und seine Wunde säubern. Die tropischen Uferpflanzen konnten ihn während der Rast schützen, und wenn er Glück hatte und mit seinen Kräften haushielt, würde er vielleicht den Weg flußabwärts zur Farm zurück schaffen. Es war eine kleine Chance; aber seine Kräfte schwanden zunehmend, je mehr Blut er verlor. Jetzt oder nie, er mußte sich aufmachen und sich in weitem Bogen nach Süden wenden, damit die Bäume ihn so lange wie möglich schützten. Aber zuerst mußte er fünf Meilen weiter stromaufwärts reiten, denn er wagte es nicht, den kürzeren Weg über das offene Land zu nehmen. Er nahm einen langen Zug aus der Wasserflasche, straffte die Zügel mit der linken Hand, und mit dem immer noch erbarmungslos bohrenden Speer in seinem Rücken brach er auf, durch die grauen Bäume auf das ferne Wasser zu.
    Mundaru, der Mann des Anaburu, hockte auf einem Felsvorsprung und beobachtete, wie der weiße Mann davonritt. Er konnte ihn nicht sehen, aber der Lauf seines Weges war deutlich gekennzeichnet durch seinen wandernden Schatten zwischen den Baumstämmen, durch eine auffliegende Schar Papageien, durch den erschreckten Sprung eines grauen Zwergkänguruhs zwischen den Bäumen hervor. Er kam langsam vorwärts und würde noch langsamer werden, aber die Richtung war klar: Er wollte zum Fluß.
    Mundaru verfolgte das Geschehen ruhig, ohne Haß oder Freude, so wie er die Bewegungen eines Känguruhs oder eines wilden Truthahns beobachten würde. Er rechnete sich aus, wie lange der Mann noch bis zum Fluß und dann stromabwärts bis zu der Stelle brauchen würde, wo er ihn abfangen und töten konnte. Es lag keinerlei Bosheit in dieser Überlegung. Man mußte so rechnen, wenn man überleben wollte, genauso wie man Neugeborene erschlug, wenn eine Dürreperiode ausgebrochen war, und wie man eine Frau tötete, die es gewagt hatte, auf die Traumsymbole zu blicken, die nur ein Mann sehen durfte. Dillon hatte mit seiner Einschätzung von Mundaru und seinen Stammesbrüdern nur zu einem kleinen Teil recht, doch in Wirklichkeit verhielten sich die Dinge sehr viel anders. Daß sie in sein Tal eingedrungen waren, entsprang keiner bösen Absicht. Sie waren einfach an einen alten und heiligen Ort zurückgekehrt, wo die Geister wohnten. Eine Vorschrift, sich von diesem Ort fernzuhalten, konnte es für sie nicht geben. Es war ihr Ort; zu ihm gehörten sie. Das war keine Frage des Besitzes, sondern der Identität. Die Hügelkette, die Dillon einfach als ein Gehege für sein Vieh ansah, bestand aus einem Wabengebilde von Höhlen, deren Wände mit Totemzeichen bemalt waren, mit der großen Schlange, dem Känguruh, der Schildkröte, dem Krokodil und dem gewaltigen Büffel Anaburu. Dieser war Mundarus Totemzeichen, die Quelle seines Lebens, das Symbol seiner persönlichen Bindungen und der Verbindung mit seinem Stamm. Daß sie den Bullen getötet hatten, war nicht aus Mutwillen geschehen, sondern war eine religiöse Handlung gewesen. In manchen Stämmen darf ein Mann auf keinen Fall sein Totemtier töten oder essen. In Mundarus Stamm jedoch hatten die Männer, die die Träume bewachten, ein anderes Gesetz aufgestellt. Das Totemtier mußte getötet und gegessen werden; denn aus dieser mystischen Verschmelzung strömten Stärke, Manneskraft und die Verheißung der Fruchtbarkeit auf den Menschen über. Mundaru hatte sich auf diesen Augenblick vorbereitet, hatte mit rötlicher und gelblicher Ockerfarbe, mit Holzkohle und Känguruhblut die Gestalt seines eigenen Büffels an eine Höhlenwand gemalt. Der weiße Mann hatte auf gewaltsame und gefährliche Weise ein religiöses Ritual unterbrochen, und das mußte gerächt werden, wenn Mundaru und seine Totembrüder nicht am eigenen Leibe Schaden erleiden wollten.
    Mit den anderen
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