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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land
Autoren: West Morris L.
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seufzte erschöpft. Abermals schloß er die Augen und lehnte sich in die Kissen zurück; den Kopf hatte er von ihr abgewandt. Er fragte schwerfällig: »Kenne ich ihn?«
    »Es war Neil Adams.«
    »Das hätte ich mir denken können.«
    »Er hat dir das Leben gerettet; er hätte dich auch sterben lassen können.«
    »Dafür sollte ich ihm wohl dankbar sein?« Er sagte das ohne Zorn; er nahm die Tatsache traurig zur Kenntnis. »Warum erzählst du mir das jetzt?«
    Er hielt seine Augen noch immer geschlossen, so daß sie seine Gefühle nicht erraten konnte. Sie sprach weiter, ruhig und ohne Hast, und breitete all das vor ihm aus, was sie in ihren Tagträumen und schlaflosen Nächten beschäftigt hatte.
    »Weil ich etwas gelernt habe, Lance – und ich glaube, daß es für uns beide wichtig ist. In diesem Land kann man nicht mit einer Lüge leben. Selbst wenn man allein lebt, muß man sich der Wahrheit stellen, oder man wird verrückt, weil die Lüge sich wie ein Geschwür festsetzt und einen auffrißt. Wenn ich dir alles gesagt habe, willst du mich vielleicht nicht mehr. Damit werde ich auch fertig. Dann gehe ich weg und fange allein ein neues Leben an. Wenn du mich willst, so wie ich bin, bleibe ich und versuche, dir eine gute Ehefrau zu sein und mit dir unseren Besitz wieder aufzubauen. Aber wir dürfen nicht mit einer Lüge leben, Lance. Nicht mit Haß, der irgendwo in einem von uns vergraben ist. Wir müssen uns gegenseitig anschauen und alles sehen, Gutes und Schlechtes, Fehler und Tugenden, und sagen: ›Ich nehme ihn hin, so wie er ist.‹ Keine gegenseitigen Beschuldigungen, keine heimlichen Gedanken! Falls wir wieder zueinander finden, möchte ich gern ein Kind. Wenn wir kein eigenes haben können, möchte ich eins adoptieren und mit ihm unsere Liebe erneuern.«
    »Glaubst du, daß du das jetzt noch kannst?« Seine Augen blieben geschlossen. Seine Stimme verriet keinerlei Bewegung.
    »Ich weiß es nicht; das muß ich ehrlich gestehen. Ich glaube, daß es möglich ist und daß wir beide es versuchen sollen. Jeder Mensch macht Fehler. Diejenigen, die sie vor ihrer Heirat machen und danach neu anfangen, sind glücklicher dran. Andere verbringen ihr Leben damit, die Fehler zu bereuen, die sie nicht gemacht haben. – Auch das ist eine Art von Lüge. Menschen wie wir – was sollen die tun? Alles wegschütten und von vorn beginnen? Oder sollen wir der Wahrheit aufrichtig ins Auge sehen und zugeben, daß jeder Mann etwas von einem wilden Tier an sich hat und jede Frau etwas von einer Hure?« Zum erstenmal zitterte ihre Stimme, und Tränen stahlen sich in ihre Augen. »Ich kann es nicht anders ausdrücken. Ich habe alle Worte verbraucht. Es tut mir leid, schrecklich leid. Aber ich habe nicht vor, mein Leben in Reue zu verbringen und mit jeder Tat und jedem Wort an eine Schuld erinnert zu werden. Ich will leben und wieder lachen, ich will singen und fröhlich zu Bett gehen. Ich habe auch ein bißchen von einer Hure in mir. Und mehr als alles andere wünsche ich, daß ich eines Tages sagen kann: ›Ich liebe dich‹ … Und ich möchte es auch von dir hören. Das ist alles, Lance … Wenn du Zeit zum Nachdenken brauchst, gehe ich raus und …«
    »Nein, Mary!« Seine Hände griffen unter der Bettdecke hervor nach ihren Handgelenken. Sie blickte auf und sah in seine geöffneten Augen. Sie waren ernst und voller Kummer, aber nicht bitter. Nüchtern sagte er: »Ich weiß genausowenig wie du, ob es mit uns noch einmal klappt. Aber ein Mann, der wie ich von den Toten auferstanden ist, sollte zufrieden sein mit dem, was er hat. Ich bin traurig, aber ich schäme mich auch. Das gebe ich zu. Wenn ich nicht an dieses Bett gefesselt wäre, ich würde dich durchhauen … und diesen verdammten Mister Adams auch. Aber noch während ich das täte, wüßte ich, daß du der bessere Mensch von uns beiden bist, Mary Dillon! Ich brauche dich, Mary, jetzt mehr als je zuvor. Für eine andere Frau tauge ich nicht. Vielleicht ist es eine schwere Strafe, daß du dich mit mir belasten mußt. Ich – ich möchte es gern versuchen.«
    »Unter diesen Bedingungen?«
    Ein Lächeln stand in seinen eingesunkenen Augen.
    »Ich bin zu müde, um mir andere Bedingungen auszudenken.« Die Augen fielen ihm zu, und er legte sich in die Kissen zurück, matt und kraftlos. Sie küßten sich nicht, sie umarmten sich nicht zur Versöhnung, aber der Griff um ihr Handgelenk wurde ein wenig fester, bevor er sie losließ. Schon schlief er ein, und sie war froh
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