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Nacktes Land

Titel: Nacktes Land
Autoren: West Morris L.
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auf einen Nachkommen, auf einen Sohn, der die Eroberung des Landes fortführen, die Grenzen erweitern und gegen die Einflüsse von Zeit und Natur verteidigen würde. Doch bis jetzt hatten sie wohl nicht richtig geträumt, und bald würde es vielleicht überhaupt keine Träume mehr geben.
    Weil sie nichts Besseres zu tun hatte, ging sie zur Anrichte und füllte die Whiskykaraffe aus Lances letzter Flasche Scotch auf. Fast automatisch goß sie sich dann auch ein Glas ein, mischte Wasser dazu und trank es langsam aus. In Gedanken war sie in der Stadt, wo zu dieser Zeit die übliche Cocktailstunde stattfand, und mit dem Drink nahm sie im Geiste daran teil und gedachte ihres früheren Lebensstils. Aber der Drink bedeutete auch gleichzeitig Trotz und eine kleine Geste der Auflehnung.
    Im ersten Jahr ihrer Ehe war Lance einmal nach Hause gekommen, als sie am Kamin gesessen hatte mit einem Drink neben sich. Lance hatte sie zuerst stirnrunzelnd angesehen und sie dann lächelnd getadelt: »Trinke nie zum Zeitvertreib, Sweetheart. Für sowas sind wir hier im falschen Land. Ich hab' schon zu viele Frauen gesehen, die sind zu Säuferinnen geworden, weil sie sich das Trinken so langsam angewöhnt hatten, weil sie allein waren und sich gelangweilt hatten. Glaub mir, das ist kein schöner Anblick. Wenn du Lust auf etwas zu trinken hast, dann trinken wir eben zusammen. Und wenn wir dabei mal einen über den Durst trinken, dann ist nichts dabei.«
    Sein leiser Vorwurf ärgerte sie, und sie fauchte los: »Was erwartest du eigentlich von mir? Soll ich vielleicht zwei Tage hier herumsitzen und warten, bis du zum Cocktail kommst? Wenn du nicht mal bei so einer Kleinigkeit Vertrauen zu mir hast, wie willst du mir dann bei wichtigen Sachen trauen?«
    Er war augenblicklich zerknirscht.
    »Mary, so hab' ich das nicht gemeint! Aber ich kenne dieses Land besser als du. Ich weiß, wie es auf Menschen wirken kann. Es ist wie – wie ein halbwildes Tier, stark und unwiderstehlich, aber auch gefährlich, wenn man sich nicht vorsieht. Das gilt für Männer genauso wie für Frauen. In unserem Gebiet hier gibt es eine Menge Kerle, die haben sich entweder den Einheimischen angeschlossen, oder sie haben zur Flasche gegriffen, oder sie sind einfach verrückt geworden. Bei uns heißen sie ›Hatters‹ – nach Mad Hatters, dem verrückten Hutmacher auf Alices Teeparty. Auf den ersten Blick sind sie ganz normal, aber in Wirklichkeit sind sie total übergeschnappt.«
    Seine Stimme wurde ganz sanft, und zärtlich legte er seine rauhen Hände auf ihre Schultern.
    »Ich liebe dich, Mary. Ich weiß doch, daß die ersten Jahre hier nicht leicht für dich sind. Deshalb versuche ich, dich zu warnen, das ist alles.«
    Die Berührung und seine Sanftheit wischten ihren Ärger wie üblich sofort weg. Doch diesmal war sie nicht zur Kapitulation bereit, und jeden Abend zur gleichen Stunde nahm sie einen Drink, nicht mehr und nicht weniger, nur um sich ohnmächtig ihres Rechtes zu versichern, sie selbst zu sein.
    Mit dem Glas in der Hand ging sie ins Wohnzimmer, setzte sich hin, nahm eine uralte Zeitung auf und blätterte sie in Muße durch. Die Nachrichten waren so überholt, als kämen sie von einem anderen Stern, doch die Klatschspalten und Modefotos ließen sie auf jene Frauen eifersüchtig werden, die nur ein paar Schritte weit von den Läden und Boutiquen und von den täglichen Neuheiten der City wohnten. Das Gesellschaftsleben im Siedlungsgebiet beschränkte sich auf das Geplauder im Kurzwellenradio und ein alljährliches gemeinsames Picknick mit anschließendem Ball auf einem der größeren Güter, wobei die Kleider der Frauen nach Mottenkugeln rochen und die Männer sich munter an der Bar betranken oder stampfend und wortkarg zu den Klängen eines verstimmten Klaviers tanzten.
    Den anderen genügte das vielleicht – den verwitterten Matronen oder den langbeinigen Halbwüchsigen, die noch nie eine Großstadt gesehen hatten; aber für sie, Mary Dillon, war das viel zu wenig.
    Alte Erinnerungen kamen auf sie zu, leise und verführerisch. Der Drink wärmte sie, die Zeitung glitt unbemerkt zu Boden – unruhig schlief Mary im Sessel ein.
    Plötzlich war sie hellwach, Sally schüttelte sie leicht, die Uhr auf dem Kamin zeigte neun Uhr fünfundvierzig. Sally sah sie fragend an.
    »Sie essen jetzt, Missus. Boss nicht kommen. Ganzes Essen verbrennen, Schluß!«
    Ärgerlich stand Mary auf. Dabei stieß sie gegen das Glas, das klirrend am Boden zersprang. Ihre Augen
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