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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen
Autoren: B Apitz
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Reineboth angewöhnt, durchs Mikrophon zu rufen:
    »Korrigieren!«
    Zehntausende nestelten an den Mützen herum.
    »Aus!«
    Ein einziger Schlag der Hände an die Hosennaht. Jetzt mussten die Mützen korrekt sitzen. Stramm stand das Quadrat. –
    Von der SS wurde dem Lager gegenüber der Krieg geflissentlich ignoriert. Hier ging es weiter Tag für Tag, als ob nichts die Zeit bewegte. Doch unter dem automatischen Abrollen des Tageslaufs floss der Strom. Vor einigen Tagen erst waren Kolberg und Graudenz »… im heldenhaften Kampf der Übermacht des Feindes erlegen …«
    Die Rote Armee!
    »Rheinübergang bei Remagen …«
    Die Alliierten!
    Die Zange griff zu!
    Reineboth hatte noch eine Meldung.
    »Die Häftlinge der Bekleidungskammer zur Bekleidungskammer. Die Blockfriseure zum Bad!«
    Nichts Neues war dieser Befehl fürs Lager. Es kam nur wieder, wie seit Monaten oft, ein neuer Transport an. Im Osten waren die Konzentrationslager geräumt worden. Auschwitz, Lublin …
    Buchenwald, obwohl schon zum Bersten voll, musste aufnehmen, so viel es konnte. Wie die Säule im Fieberthermometer stieg die Zahl der fast täglich neu Ankommenden. Wohin mit den Menschen? Um die Massen der Zugänge unterzubringen, mussten im abseitigen Gelände innerhalb des Lagers Notbaracken errichtet werden. In ehemalige Pferdeställe wurden sie zu Tausenden hineingetrieben. Ein doppelter Stacheldrahtzaun um die Ställe, und fortan hieß, was hier entstanden war, das »Kleine Lager«.
    Ein Lager im Lager, abgesondert und mit eigenen Lebensgesetzen. Menschen aus allen europäischen Nationen hausten hier, von denen niemand wusste, wo einstmals ihr Zuhause gewesen war, deren Gedanken niemand erriet und die eine Sprache sprachen, die keiner verstand. Menschen ohneNamen und Angesicht. {Für das »Kleine Lager« hatte die SS-Lagerführung alle Übersicht verloren.}
    Von denen, die aus den fremden Lagern kamen, war die Hälfte bereits auf dem Marsch gestorben oder von der begleitenden SS zusammengeknallt worden. Auf den Straßen blieben dann die Leichen liegen. Die Transportlisten stimmten nicht mehr, die aufgeführten Häftlingsnummern gerieten durcheinander. Welche gehörte einem Lebenden, welche zu einem Toten? Wer wusste noch Namen und Herkunft dieser Menschen? –
    »Abrücken!«
    Reineboth stellte das Mikrophon ab. Das Riesenquadrat wurde lebendig. Die Blockältesten kommandierten. Block nach Block schwenkte ein. Das riesige Menschengebilde zerfloss und strömte den Appellplatz hinunter, den Baracken zu. Oben verschwanden die Blockführer durchs Tor. –
     
    Auf dem Bahnhof rollte zur gleichen Zeit der Güterzug mit dem Transport ein. Noch ehe er richtig zum Halten kam, liefen etliche SS-Leute, die Karabiner von den Schultern reißend, den Zug entlang. Sie zerrten die Verriegelungen auf und stießen die Wagentüren auseinander.
    »’raus, ihr Mistsäue! ’raus hier! ’raus!«
    Mann an Mann gedrängt, standen die Häftlinge in der stinkenden Enge der Wagen, und der plötzlich einströmende Sauerstoff machte die Menschen taumeln. Unter dem Geschrei der SS quetschten sie sich durch die Öffnungen, einer über den anderen stürzend und kollernd. Die übrige SS-Mann schaft trieb sie zu einem wirren Haufen zusammen. Wie aufbrechende Geschwüre gaben die Wagen ihren Inhalt von sich.
    Als einer der Letzten sprang der polnische Jude Zacharias Jankowski vom Wagen. Von einem SS-Mann erhielt er mit dem Gewehrkolben einen Schlag auf die Hand, als er seinen Koffer nachzerren wollte.
    »Judensau, verfluchte!«
    Jankowski gelang es, den Koffer aufzufangen, den der SS-Mann ihm wütend nachschleuderte.
    »Hast wohl deine ergaunerten Diamanten drin, du Schwein?«
    Jankowski zerrte den Koffer mit sich in den schützenden Menschenhaufen hinein.
    Die SS-Leute kletterten in die Waggons und kehrten den Rest mit den Kolben aus. Kranke und Erschöpfte schmissen sie wie Säcke herunter. Zurück blieben die Toten, die während der langen Fahrt in einer mühsam frei gehaltenen Ecke abgelegt worden waren. Eine der Leichen lag halb aufgerichtet und grinste {den SS-Mann an}.
     
    Wohl in jedem Block klebten Landkarten an der Wand oder am Pult des Blockältesten, der in der Regel ein erfahrener, langjähriger Häftling war. Man hatte diese aus Zeitungen herausgeschnitten, damals, als die faschistischen Heerhaufen über Minsk, Smolensk, Wjasma auf Moskau marschierten und später über Odessa, Rostow auf Stalingrad zu.
    Die Blockführer, {meist} üble, prügelsüchtige SS-Leute,
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