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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen
Autoren: B Apitz
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August Rose stand an der langen Quertafel und kramte in irgendwelchen Papieren.
    Er blickte verwundert auf den hereinschleichenden Pippig.
    »Was bringst du da angeschleppt?«
    Mit einer schnellen Handbewegung vertuschte Pippig die Frage.
    »Wo ist Zweiling?«
    Rose wies mit dem Daumen nach dem Zimmer des Hauptscharführers.
    »Pass auf«, sagte Pippig hastig und huschte flink nach hinten in den halbdunklen Kleiderraum hinein. Rose sah ihm nach und beobachtete dann den Hauptscharführer, den er hinter dem großen Glasfenster in seinem Zimmer sehen konnte.
    Zweiling saß am Schreibtisch vor der aufgeschlagenen Zeitung, den Kopf in die Hände gestützt. Es sah aus, als ob er schliefe. Aber der hagere, langstelzige Mensch schlief nicht, sondern grübelte {beunruhigt über die neuesten Meldungen von der Front. Zweiling erwog vielerlei Möglichkeiten der Flucht. Je näher die Front kam, desto gefährlicher wurde es, der SS anzugehören. Am besten war es noch, sich in Zivil beiseitezudrücken. –
    Und wenn die Amerikaner so plötzlich da sein werden, dass ich nicht mehr Zeit habe, aus dem Lager zu kommen? Dann war man mittendrin. Adé, Gotthold! –
    Mit den Häftlingen beizeiten gemeinsame Sache machen? –
    Wie wäre das? – Zweiling grübelte. Das ist nicht so einfach. Die Burschen sind misstrauisch, und wer garantiert, dass sie einen nicht doch noch umlegen? Abenteuerliche Gedanken schwammen Zweiling im Gehirn herum wie Brocken in der Suppe.
    Kurz vorm Einschnappen müsste man den Kommandanten abschießen und Kluttig und Reineboth dazu und noch ein paar andere mit … Da wäre man bei den Amerikanern sogar noch als ein Antifaschist avisiert … In Zweiling kicherte es. Aber sehr schnell gewannen die zweifelnden Gedanken wieder die Oberhand. Verfluchte Situation. Wie schlängelte man sich am sichersten durch? –}
    Pippig kam wieder nach vorn, machte zu Rose hin eine beschwichtigende Geste, öffnete geräuschvoll die Tür zum Schreibbüro, das neben Zweilings Zimmer lag, und rief überlaut:
    »Marian, komm mit ’runter zum Dolmetschen!«
    Zweiling schreckte hoch. Er sah den herausgerufenen Polen mit Pippig davongehen.
    {»Was heckst du wieder aus?«, knurrte Rose unwillig, als er sah, wie Pippig den Polen am Arm festhielt, der ahnungslos die Effektenkammer verlassen wollte. Mit unterdrückter Stimme fuhr Pippig den grämlichen Rose an:
    »Mache nur kein Drama, Mensch! Pass lieber auf Zweiling auf.«}
    Dieser gab Kropinski ein schnelles Zeichen, und die beiden schlichen nach hinten. In der äußersten Ecke des Kleiderraums verschwanden sie hinter hohen Stapeln von Garderobesäcken und Bekleidungsstücken verstorbener Häftlinge. Hier stand der Koffer. –
    Pippig, quecksilbrig und aufgeregt, witterte mit langgestrecktem Hals noch einmal um die Stapel herum, rieb sich die Hände und grinste Kropinski an, ausdrückend: Nun pass auf, was ich mitgebracht habe … Dann ließ er die Schlösseraufschnappen und hob den Kofferdeckel hoch. Breitspurig schob er die Hände in die Taschen und genoss die gelungene Überraschung. –
    Im Koffer lag, in sich verkrümmt, die Händchen vors Gesicht gedrückt, ein in Lumpen gehülltes Kind. Ein Knabe, nicht älter als etwa drei Jahre.
    Kropinski kauerte sich und starrte das Kind an. Es lag reglos. Pippig strich zärtlich über den kleinen Körper.
    »’n Miezekätzchen. – Ist uns zugelaufen.«
    Er wollte das Kind an der Schulter herumdrehen, aber es schien sich dagegenzustemmen. Endlich fand Kropinski ein Wort. »Armes Wurm«, sagte er auf Polnisch, »wo kommst du her?« Beim Klang der polnischen Laute steckte das Kind sein Köpfchen vor wie ein Insekt, das die Fühler eingezogen hatte. Eine kleine, erste Lebensäußerung, für die beiden so unerhört erregend, dass sie dem Kind gebannt in die Augen starrten. Das schmale Gesicht hatte bereits den Ernst eines wissenden Menschen, und auf den Augen lag ein Glanz, der kein Kinderglanz war. Das Kind sah die Männer in stummer Erwartung an. Sie wagten kaum zu atmen. –
    Rose hatte die Neugier nicht mehr gehalten. Leise war er nach dem Winkel geschlichen und stand unvermittelt vor den beiden.
    »Was soll denn das?«
    Jäh erschrocken fuhr Pippig herum und zischte den staunenden Rose an:
    »Bist du verrückt? Hierherzukommen! Mach dich nach vorn! Du willst uns wohl Zweiling auf den Hals hetzen?«
    Rose winkte ab.
    »Der döst.«
    Er beugte sich neugierig über das Kind{:
    »Was wollt ihr damit?«
    Pippig drängte Rose von dem Koffer
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